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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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liebenswürdigen und gutmüthigen Leichtgläubig¬
keit hat, da sagt man mit Recht, es mache selig,
und denjenigen Unglauben, welcher aus der an¬
deren Quelle herrührt, kann man billig unselig
nennen. Allein mit der eigentlichen dogmatischen
Lehre vom Glauben haben beide rein Nichts zu
thun; denn während es christlich Gläubige giebt,
welche in allen anderen Dingen die unangenehm¬
sten Bezweifler und Bemäkler sind, gibt es eben
so viele Ungläubige, sogar Atheisten, welche sonst
an alles Hoffnungsvolle und Erfreuliche mit all¬
bereiter Leichtigkeit glauben, und es ist ein be¬
liebtes Argument der christlichen Polemiker, daß
sie Solchen höhnisch vorhalten, wie sie jeden auf¬
fallenden Quark als baare Münze annähmen und
sich von Illusionen nährten, während sie nur das
Große und Eine nicht glauben wollten. So
haben wir das komische Schauspiel, wie Men¬
schen sich der abstractesten aller Ideologieen hin¬
geben, um nachher Jeden, der an etwas erreich¬
bar Gutes und Schönes glaubt, einen Ideologen
zu nennen; sie bilden eine eigene wunderliche
Bank der Spötter, vom Cäsar Napoleon bis

II. 20

liebenswuͤrdigen und gutmuͤthigen Leichtglaͤubig¬
keit hat, da ſagt man mit Recht, es mache ſelig,
und denjenigen Unglauben, welcher aus der an¬
deren Quelle herruͤhrt, kann man billig unſelig
nennen. Allein mit der eigentlichen dogmatiſchen
Lehre vom Glauben haben beide rein Nichts zu
thun; denn waͤhrend es chriſtlich Glaͤubige giebt,
welche in allen anderen Dingen die unangenehm¬
ſten Bezweifler und Bemaͤkler ſind, gibt es eben
ſo viele Unglaͤubige, ſogar Atheiſten, welche ſonſt
an alles Hoffnungsvolle und Erfreuliche mit all¬
bereiter Leichtigkeit glauben, und es iſt ein be¬
liebtes Argument der chriſtlichen Polemiker, daß
ſie Solchen hoͤhniſch vorhalten, wie ſie jeden auf¬
fallenden Quark als baare Muͤnze annaͤhmen und
ſich von Illuſionen naͤhrten, waͤhrend ſie nur das
Große und Eine nicht glauben wollten. So
haben wir das komiſche Schauſpiel, wie Men¬
ſchen ſich der abſtracteſten aller Ideologieen hin¬
geben, um nachher Jeden, der an etwas erreich¬
bar Gutes und Schoͤnes glaubt, einen Ideologen
zu nennen; ſie bilden eine eigene wunderliche
Bank der Spoͤtter, vom Caͤſar Napoleon bis

II. 20
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[305/0315] liebenswuͤrdigen und gutmuͤthigen Leichtglaͤubig¬ keit hat, da ſagt man mit Recht, es mache ſelig, und denjenigen Unglauben, welcher aus der an¬ deren Quelle herruͤhrt, kann man billig unſelig nennen. Allein mit der eigentlichen dogmatiſchen Lehre vom Glauben haben beide rein Nichts zu thun; denn waͤhrend es chriſtlich Glaͤubige giebt, welche in allen anderen Dingen die unangenehm¬ ſten Bezweifler und Bemaͤkler ſind, gibt es eben ſo viele Unglaͤubige, ſogar Atheiſten, welche ſonſt an alles Hoffnungsvolle und Erfreuliche mit all¬ bereiter Leichtigkeit glauben, und es iſt ein be¬ liebtes Argument der chriſtlichen Polemiker, daß ſie Solchen hoͤhniſch vorhalten, wie ſie jeden auf¬ fallenden Quark als baare Muͤnze annaͤhmen und ſich von Illuſionen naͤhrten, waͤhrend ſie nur das Große und Eine nicht glauben wollten. So haben wir das komiſche Schauſpiel, wie Men¬ ſchen ſich der abſtracteſten aller Ideologieen hin¬ geben, um nachher Jeden, der an etwas erreich¬ bar Gutes und Schoͤnes glaubt, einen Ideologen zu nennen; ſie bilden eine eigene wunderliche Bank der Spoͤtter, vom Caͤſar Napoleon bis II. 20

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/315>, abgerufen am 25.11.2024.