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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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malige Verantwortlichkeit feststellen, welche im¬
mer eine andere ist; denn das gleiche Vergehen
kann bei dem einen Menschen fast unbedeutend
sein, während es für den anderen eine Sünde ist;
ja für ein und denselben Menschen ist es zu der
einen Stunde unverzeihlicher und schwerer, als
zu der anderen Stunde. Das richtige und augen¬
blickliche Erkennen ist nicht eine weitläufige und
schwerfällige Kunst oder Uebung, sondern eine
ganz leichte, flüssige und schmiegsame, weil Jeder
alsbald recht wohl weiß, wo ihn der Schuh
drückt. Das eine Mal besteht unser Vergehen
nur darin, daß wir nicht auf der Hut waren
und in der selbstbeherrschenden Haltung, welche
wir uns nach dem Grade unserer Einsicht, Fähig¬
keit und Erfahrung zu eigen gemacht und welche
bei Jedem wieder einen anderen Maßstab verlangt,
nachgelassen haben, ohne dessen inne zu werden;
das andere Mal besteht aber das Vergehen so
recht in und durch sich selbst, indem wir es uns
in der vollen Gegenwart unserer Einsicht und Er¬
fahrung zu Schulden kommen lassen. Alsdann
geht die Sünde so zu sagen mit der Erkenntniß

malige Verantwortlichkeit feſtſtellen, welche im¬
mer eine andere iſt; denn das gleiche Vergehen
kann bei dem einen Menſchen faſt unbedeutend
ſein, waͤhrend es fuͤr den anderen eine Suͤnde iſt;
ja fuͤr ein und denſelben Menſchen iſt es zu der
einen Stunde unverzeihlicher und ſchwerer, als
zu der anderen Stunde. Das richtige und augen¬
blickliche Erkennen iſt nicht eine weitlaͤufige und
ſchwerfaͤllige Kunſt oder Uebung, ſondern eine
ganz leichte, fluͤſſige und ſchmiegſame, weil Jeder
alsbald recht wohl weiß, wo ihn der Schuh
druͤckt. Das eine Mal beſteht unſer Vergehen
nur darin, daß wir nicht auf der Hut waren
und in der ſelbſtbeherrſchenden Haltung, welche
wir uns nach dem Grade unſerer Einſicht, Faͤhig¬
keit und Erfahrung zu eigen gemacht und welche
bei Jedem wieder einen anderen Maßſtab verlangt,
nachgelaſſen haben, ohne deſſen inne zu werden;
das andere Mal beſteht aber das Vergehen ſo
recht in und durch ſich ſelbſt, indem wir es uns
in der vollen Gegenwart unſerer Einſicht und Er¬
fahrung zu Schulden kommen laſſen. Alsdann
geht die Suͤnde ſo zu ſagen mit der Erkenntniß

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[299/0309] malige Verantwortlichkeit feſtſtellen, welche im¬ mer eine andere iſt; denn das gleiche Vergehen kann bei dem einen Menſchen faſt unbedeutend ſein, waͤhrend es fuͤr den anderen eine Suͤnde iſt; ja fuͤr ein und denſelben Menſchen iſt es zu der einen Stunde unverzeihlicher und ſchwerer, als zu der anderen Stunde. Das richtige und augen¬ blickliche Erkennen iſt nicht eine weitlaͤufige und ſchwerfaͤllige Kunſt oder Uebung, ſondern eine ganz leichte, fluͤſſige und ſchmiegſame, weil Jeder alsbald recht wohl weiß, wo ihn der Schuh druͤckt. Das eine Mal beſteht unſer Vergehen nur darin, daß wir nicht auf der Hut waren und in der ſelbſtbeherrſchenden Haltung, welche wir uns nach dem Grade unſerer Einſicht, Faͤhig¬ keit und Erfahrung zu eigen gemacht und welche bei Jedem wieder einen anderen Maßſtab verlangt, nachgelaſſen haben, ohne deſſen inne zu werden; das andere Mal beſteht aber das Vergehen ſo recht in und durch ſich ſelbſt, indem wir es uns in der vollen Gegenwart unſerer Einſicht und Er¬ fahrung zu Schulden kommen laſſen. Alsdann geht die Suͤnde ſo zu ſagen mit der Erkenntniß

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/309>, abgerufen am 24.11.2024.