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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Berg trüge. Aber die Freude, welche der Schul¬
meister bezeugte, entschädigte mich reichlich für Alles,
sowie über den Verlust des Bildes, zumal ich mir
vornahm, für mich selbst noch ein viel schöneres
zu entwerfen. Ich war der Held des Tages,
als das Bild nach genugsamem Betrachten über
dem Sopha im Orgelsaale aufgehängt wurde,
wo es sich wie das Bild einer märchenhaften
Kirchenheiligen ausnahm. Doch dies Alles trug
dazu bei, meine Annäherung zu Anna zu er¬
schweren; es war mir unmöglich, diese Gelegen¬
heit zu benutzen und mit ihr schön zu thun, ich
begriff ebenfalls, daß sie jetzt eben sich sehr gemes¬
sen benehmen mußte, und ich erkannte, daß es ei¬
gentlich gar kein Spaß sei, einem Mädchen seine
Neigung so bestimmt kund zu thun. Desto bes¬
ser stand ich mich mit dem Schulmeister, mit
welchem ich vielfach disputirte. Sein Bildungs¬
kreis umfaßte hauptsächlich das christlich morali¬
sche Gebiet in einem halb aufgeklärten und halb
mystisch andächtigen Sinne, wo der Grundsatz
der Duldung und Liebe, gegründet auf Selbster¬
kenntniß und auf das Studium des Wesens Got¬

Berg truͤge. Aber die Freude, welche der Schul¬
meiſter bezeugte, entſchaͤdigte mich reichlich fuͤr Alles,
ſowie uͤber den Verluſt des Bildes, zumal ich mir
vornahm, fuͤr mich ſelbſt noch ein viel ſchoͤneres
zu entwerfen. Ich war der Held des Tages,
als das Bild nach genugſamem Betrachten uͤber
dem Sopha im Orgelſaale aufgehaͤngt wurde,
wo es ſich wie das Bild einer maͤrchenhaften
Kirchenheiligen ausnahm. Doch dies Alles trug
dazu bei, meine Annaͤherung zu Anna zu er¬
ſchweren; es war mir unmoͤglich, dieſe Gelegen¬
heit zu benutzen und mit ihr ſchoͤn zu thun, ich
begriff ebenfalls, daß ſie jetzt eben ſich ſehr gemeſ¬
ſen benehmen mußte, und ich erkannte, daß es ei¬
gentlich gar kein Spaß ſei, einem Maͤdchen ſeine
Neigung ſo beſtimmt kund zu thun. Deſto beſ¬
ſer ſtand ich mich mit dem Schulmeiſter, mit
welchem ich vielfach disputirte. Sein Bildungs¬
kreis umfaßte hauptſaͤchlich das chriſtlich morali¬
ſche Gebiet in einem halb aufgeklaͤrten und halb
myſtiſch andaͤchtigen Sinne, wo der Grundſatz
der Duldung und Liebe, gegruͤndet auf Selbſter¬
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[284/0294] Berg truͤge. Aber die Freude, welche der Schul¬ meiſter bezeugte, entſchaͤdigte mich reichlich fuͤr Alles, ſowie uͤber den Verluſt des Bildes, zumal ich mir vornahm, fuͤr mich ſelbſt noch ein viel ſchoͤneres zu entwerfen. Ich war der Held des Tages, als das Bild nach genugſamem Betrachten uͤber dem Sopha im Orgelſaale aufgehaͤngt wurde, wo es ſich wie das Bild einer maͤrchenhaften Kirchenheiligen ausnahm. Doch dies Alles trug dazu bei, meine Annaͤherung zu Anna zu er¬ ſchweren; es war mir unmoͤglich, dieſe Gelegen¬ heit zu benutzen und mit ihr ſchoͤn zu thun, ich begriff ebenfalls, daß ſie jetzt eben ſich ſehr gemeſ¬ ſen benehmen mußte, und ich erkannte, daß es ei¬ gentlich gar kein Spaß ſei, einem Maͤdchen ſeine Neigung ſo beſtimmt kund zu thun. Deſto beſ¬ ſer ſtand ich mich mit dem Schulmeiſter, mit welchem ich vielfach disputirte. Sein Bildungs¬ kreis umfaßte hauptſaͤchlich das chriſtlich morali¬ ſche Gebiet in einem halb aufgeklaͤrten und halb myſtiſch andaͤchtigen Sinne, wo der Grundſatz der Duldung und Liebe, gegruͤndet auf Selbſter¬ kenntniß und auf das Studium des Weſens Got¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/294>, abgerufen am 23.11.2024.