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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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schauer und besonders meine Blumen und Vö¬
gel, sowie die Goldspangen und Edelsteine, wo¬
mit ich Anna geschmückt, auch die fromme und
sorgfältige Ausarbeitung ihrer Haare und ihrer
weißen Halskrause, die schönblauen Augen und
die rosenrothen Wangen, der tiefrothe Mund, Alles
entsprach dem phantasiereichen Sinne der Leute,
welche ihre Augen an den mannigfaltigen Gegen¬
ständen vergnügten. Das Gesicht war fast gar nicht
modellirt und ganz licht, und dies gefiel ihnen
nur um so mehr, obgleich dieser vermeintliche
Vorzug in meinem Nichtkönnen seinen einzigen
Grund hatte.

Ich mußte das allerherrlichste Werk eigen¬
händig tragen, als wir fortgingen, und wenn
die Sonne sich in dem glänzenden Glase spiegelte,
so erwies es sich recht eigentlich, daß kein Fäde¬
lein so fein gesponnen, das nicht endlich an die
Sonne käme. Auch machten die Mädchen reich¬
liche Witze, wenn sie sich nach mir umsahen,
der den Rahmen sorgfältig in Acht nehmen
mußte und daher aussah, als ob ich ein Palla¬
dium im Schweiße meines Angesichts über den

ſchauer und beſonders meine Blumen und Voͤ¬
gel, ſowie die Goldſpangen und Edelſteine, wo¬
mit ich Anna geſchmuͤckt, auch die fromme und
ſorgfaͤltige Ausarbeitung ihrer Haare und ihrer
weißen Halskrauſe, die ſchoͤnblauen Augen und
die roſenrothen Wangen, der tiefrothe Mund, Alles
entſprach dem phantaſiereichen Sinne der Leute,
welche ihre Augen an den mannigfaltigen Gegen¬
ſtaͤnden vergnuͤgten. Das Geſicht war faſt gar nicht
modellirt und ganz licht, und dies gefiel ihnen
nur um ſo mehr, obgleich dieſer vermeintliche
Vorzug in meinem Nichtkoͤnnen ſeinen einzigen
Grund hatte.

Ich mußte das allerherrlichſte Werk eigen¬
haͤndig tragen, als wir fortgingen, und wenn
die Sonne ſich in dem glaͤnzenden Glaſe ſpiegelte,
ſo erwies es ſich recht eigentlich, daß kein Faͤde¬
lein ſo fein geſponnen, das nicht endlich an die
Sonne kaͤme. Auch machten die Maͤdchen reich¬
liche Witze, wenn ſie ſich nach mir umſahen,
der den Rahmen ſorgfaͤltig in Acht nehmen
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[283/0293] ſchauer und beſonders meine Blumen und Voͤ¬ gel, ſowie die Goldſpangen und Edelſteine, wo¬ mit ich Anna geſchmuͤckt, auch die fromme und ſorgfaͤltige Ausarbeitung ihrer Haare und ihrer weißen Halskrauſe, die ſchoͤnblauen Augen und die roſenrothen Wangen, der tiefrothe Mund, Alles entſprach dem phantaſiereichen Sinne der Leute, welche ihre Augen an den mannigfaltigen Gegen¬ ſtaͤnden vergnuͤgten. Das Geſicht war faſt gar nicht modellirt und ganz licht, und dies gefiel ihnen nur um ſo mehr, obgleich dieſer vermeintliche Vorzug in meinem Nichtkoͤnnen ſeinen einzigen Grund hatte. Ich mußte das allerherrlichſte Werk eigen¬ haͤndig tragen, als wir fortgingen, und wenn die Sonne ſich in dem glaͤnzenden Glaſe ſpiegelte, ſo erwies es ſich recht eigentlich, daß kein Faͤde¬ lein ſo fein geſponnen, das nicht endlich an die Sonne kaͤme. Auch machten die Maͤdchen reich¬ liche Witze, wenn ſie ſich nach mir umſahen, der den Rahmen ſorgfaͤltig in Acht nehmen mußte und daher ausſah, als ob ich ein Palla¬ dium im Schweiße meines Angeſichts uͤber den

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/293>, abgerufen am 23.11.2024.