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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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sprödes Kind, das überhaupt nicht viel sprach,
leicht beleidigt und gereizt wurde, was ein schnel¬
les Erröthen immer anzeigte, und besonders stellte
sich ein leichter Stolz heraus, der sich mit etwas
Eigensinn verband. Diesem Charakter zufolge
war sie unerbittlich und hätte eher den Tod ge¬
nommen, als daß sie sich durch das geringste
Entgegenkommen etwas vergeben hätte. Desto
verliebter aber wurde ich mit jedem Tage, so
daß ich mich fortwährend mit ihr beschäftigte,
wenn ich allein war, mich höchst unglücklich fühlte
und sehnsüchtig träumend die Wälder und Höhen
durchstreifte; denn da ich nunmehr wieder der Ein¬
zige war, welcher seine Liebe verbergen mußte, wie
ich wenigstens glaubte, so ging ich auch vorzugs¬
weise wieder allein und auf mich selbst angewie¬
sen. Ich brachte die Tage im tiefen Walde zu,
mit meinem Handwerkszeuge versehen; allein ich
zeichnete nur wenig nach der Natur, sondern
wenn ich eine recht geheime Stelle gefunden, wo
ich sicher war, daß Niemand mich überraschte,
zog ich ein großes schönes Stück Pergament her¬
vor, auf welchem ich Anna's Bildniß aus dem

ſproͤdes Kind, das uͤberhaupt nicht viel ſprach,
leicht beleidigt und gereizt wurde, was ein ſchnel¬
les Erroͤthen immer anzeigte, und beſonders ſtellte
ſich ein leichter Stolz heraus, der ſich mit etwas
Eigenſinn verband. Dieſem Charakter zufolge
war ſie unerbittlich und haͤtte eher den Tod ge¬
nommen, als daß ſie ſich durch das geringſte
Entgegenkommen etwas vergeben haͤtte. Deſto
verliebter aber wurde ich mit jedem Tage, ſo
daß ich mich fortwaͤhrend mit ihr beſchaͤftigte,
wenn ich allein war, mich hoͤchſt ungluͤcklich fuͤhlte
und ſehnſuͤchtig traͤumend die Waͤlder und Hoͤhen
durchſtreifte; denn da ich nunmehr wieder der Ein¬
zige war, welcher ſeine Liebe verbergen mußte, wie
ich wenigſtens glaubte, ſo ging ich auch vorzugs¬
weiſe wieder allein und auf mich ſelbſt angewie¬
ſen. Ich brachte die Tage im tiefen Walde zu,
mit meinem Handwerkszeuge verſehen; allein ich
zeichnete nur wenig nach der Natur, ſondern
wenn ich eine recht geheime Stelle gefunden, wo
ich ſicher war, daß Niemand mich uͤberraſchte,
zog ich ein großes ſchoͤnes Stuͤck Pergament her¬
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[267/0277] ſproͤdes Kind, das uͤberhaupt nicht viel ſprach, leicht beleidigt und gereizt wurde, was ein ſchnel¬ les Erroͤthen immer anzeigte, und beſonders ſtellte ſich ein leichter Stolz heraus, der ſich mit etwas Eigenſinn verband. Dieſem Charakter zufolge war ſie unerbittlich und haͤtte eher den Tod ge¬ nommen, als daß ſie ſich durch das geringſte Entgegenkommen etwas vergeben haͤtte. Deſto verliebter aber wurde ich mit jedem Tage, ſo daß ich mich fortwaͤhrend mit ihr beſchaͤftigte, wenn ich allein war, mich hoͤchſt ungluͤcklich fuͤhlte und ſehnſuͤchtig traͤumend die Waͤlder und Hoͤhen durchſtreifte; denn da ich nunmehr wieder der Ein¬ zige war, welcher ſeine Liebe verbergen mußte, wie ich wenigſtens glaubte, ſo ging ich auch vorzugs¬ weiſe wieder allein und auf mich ſelbſt angewie¬ ſen. Ich brachte die Tage im tiefen Walde zu, mit meinem Handwerkszeuge verſehen; allein ich zeichnete nur wenig nach der Natur, ſondern wenn ich eine recht geheime Stelle gefunden, wo ich ſicher war, daß Niemand mich uͤberraſchte, zog ich ein großes ſchoͤnes Stuͤck Pergament her¬ vor, auf welchem ich Anna's Bildniß aus dem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/277>, abgerufen am 23.11.2024.