Schulmeister bleiben mußten und manchmal tüch¬ tige Lehrer abgaben, wenn sie Eitelkeit und Un¬ zufriedenheit überwunden, manchmal aber auch unnütze Gesellen wurden, welche alle Liebe für ihren Beruf verloren, während sie doch von Je¬ dermann die unbedingteste Hochachtung verlang¬ ten, ihre Zeit zwischen Dorfintriguen und Kar¬ tenspiel theilten oder unausgesetzt um alle Mäd¬ chen im Lande sich bewarben, die einige tausend Gulden zu erben hatten. Am liebsten heiratheten sie endlich, nach vielen verfehlten Plänen, irgend eine verwittwete Schenkebesitzerin, wo sie alsdann als gelehrte Wirthe stattlich figurirten, froh, dem Schulstaube entronnen zu sein.
Zu allen Diesen gehörte jedoch der Philosoph nicht. Er behauptete, der beste Volksschulmeister wäre nur derjenige, welcher auf dem höchsten und klarsten Gipfel menschlichen Wissens stände, mit dem umfassenden Blicke über alle Dinge, das Bewußtsein bereichert mit allen Ideen der Welt, zugleich aber in Demuth und Einfalt, in ewi¬ ger Kindlichkeit wandelnd unter den Kleinen, wo möglichst mit den Kleinsten. Demgemäß lebte
Schulmeiſter bleiben mußten und manchmal tuͤch¬ tige Lehrer abgaben, wenn ſie Eitelkeit und Un¬ zufriedenheit uͤberwunden, manchmal aber auch unnuͤtze Geſellen wurden, welche alle Liebe fuͤr ihren Beruf verloren, waͤhrend ſie doch von Je¬ dermann die unbedingteſte Hochachtung verlang¬ ten, ihre Zeit zwiſchen Dorfintriguen und Kar¬ tenſpiel theilten oder unausgeſetzt um alle Maͤd¬ chen im Lande ſich bewarben, die einige tauſend Gulden zu erben hatten. Am liebſten heiratheten ſie endlich, nach vielen verfehlten Plaͤnen, irgend eine verwittwete Schenkebeſitzerin, wo ſie alsdann als gelehrte Wirthe ſtattlich figurirten, froh, dem Schulſtaube entronnen zu ſein.
Zu allen Dieſen gehoͤrte jedoch der Philoſoph nicht. Er behauptete, der beſte Volksſchulmeiſter waͤre nur derjenige, welcher auf dem hoͤchſten und klarſten Gipfel menſchlichen Wiſſens ſtaͤnde, mit dem umfaſſenden Blicke uͤber alle Dinge, das Bewußtſein bereichert mit allen Ideen der Welt, zugleich aber in Demuth und Einfalt, in ewi¬ ger Kindlichkeit wandelnd unter den Kleinen, wo moͤglichſt mit den Kleinſten. Demgemaͤß lebte
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Schulmeiſter bleiben mußten und manchmal tuͤch¬
tige Lehrer abgaben, wenn ſie Eitelkeit und Un¬
zufriedenheit uͤberwunden, manchmal aber auch
unnuͤtze Geſellen wurden, welche alle Liebe fuͤr
ihren Beruf verloren, waͤhrend ſie doch von Je¬
dermann die unbedingteſte Hochachtung verlang¬
ten, ihre Zeit zwiſchen Dorfintriguen und Kar¬
tenſpiel theilten oder unausgeſetzt um alle Maͤd¬
chen im Lande ſich bewarben, die einige tauſend
Gulden zu erben hatten. Am liebſten heiratheten
ſie endlich, nach vielen verfehlten Plaͤnen, irgend
eine verwittwete Schenkebeſitzerin, wo ſie alsdann
als gelehrte Wirthe ſtattlich figurirten, froh, dem
Schulſtaube entronnen zu ſein.
Zu allen Dieſen gehoͤrte jedoch der Philoſoph
nicht. Er behauptete, der beſte Volksſchulmeiſter
waͤre nur derjenige, welcher auf dem hoͤchſten und
klarſten Gipfel menſchlichen Wiſſens ſtaͤnde, mit
dem umfaſſenden Blicke uͤber alle Dinge, das
Bewußtſein bereichert mit allen Ideen der Welt,
zugleich aber in Demuth und Einfalt, in ewi¬
ger Kindlichkeit wandelnd unter den Kleinen,
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/264>, abgerufen am 23.11.2024.
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