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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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wir durch die Enge des Weges getrennt hinter
einander gehen mußten, marschirte ich als der
Letzte hinten drein, dicht nach Anna, aber immer
in tiefem Schweigen. Meine Augen hingen mit
Andacht und Liebe an ihrer Gestalt, immer bereit,
sich abzuwenden, sobald sie zurückschauen würde.
Doch that sie dies nicht ein einziges Mal; hin¬
gegen bildete ich mir mit innerlichem Vergnügen
ein, daß sie hie und da mit einer kaum sichtbaren
Absicht, zu gefallen, sich über schwierige Stellen
hinbewegte. Ich machte ein paar Mal schüch¬
terne Anstalten, ihr behülflich zu sein, allein im¬
mer kam sie meinen Händen zuvor. Da stand
an einer erhöhten Stelle des Weges die schöne
Judith unter einer dunklen Tanne, deren Stamm
wie eine Säule von grauem Marmor emporstieg.
Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen, sie schien
mit der Zeit noch immer schöner zu werden und
hatte die Arme über einander geschlagen, eine
Rosenknospe im Munde, mit welcher ihre Lippen
nachlässig spielten. Sie grüßte Eines um das
Andere, ohne sich in ein Gespräch einzulassen,
und als ich schließlich auch an die Reihe kam,

wir durch die Enge des Weges getrennt hinter
einander gehen mußten, marſchirte ich als der
Letzte hinten drein, dicht nach Anna, aber immer
in tiefem Schweigen. Meine Augen hingen mit
Andacht und Liebe an ihrer Geſtalt, immer bereit,
ſich abzuwenden, ſobald ſie zuruͤckſchauen wuͤrde.
Doch that ſie dies nicht ein einziges Mal; hin¬
gegen bildete ich mir mit innerlichem Vergnuͤgen
ein, daß ſie hie und da mit einer kaum ſichtbaren
Abſicht, zu gefallen, ſich uͤber ſchwierige Stellen
hinbewegte. Ich machte ein paar Mal ſchuͤch¬
terne Anſtalten, ihr behuͤlflich zu ſein, allein im¬
mer kam ſie meinen Haͤnden zuvor. Da ſtand
an einer erhoͤhten Stelle des Weges die ſchoͤne
Judith unter einer dunklen Tanne, deren Stamm
wie eine Saͤule von grauem Marmor emporſtieg.
Ich hatte ſie lange nicht mehr geſehen, ſie ſchien
mit der Zeit noch immer ſchoͤner zu werden und
hatte die Arme uͤber einander geſchlagen, eine
Roſenknoſpe im Munde, mit welcher ihre Lippen
nachlaͤſſig ſpielten. Sie gruͤßte Eines um das
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[244/0254] wir durch die Enge des Weges getrennt hinter einander gehen mußten, marſchirte ich als der Letzte hinten drein, dicht nach Anna, aber immer in tiefem Schweigen. Meine Augen hingen mit Andacht und Liebe an ihrer Geſtalt, immer bereit, ſich abzuwenden, ſobald ſie zuruͤckſchauen wuͤrde. Doch that ſie dies nicht ein einziges Mal; hin¬ gegen bildete ich mir mit innerlichem Vergnuͤgen ein, daß ſie hie und da mit einer kaum ſichtbaren Abſicht, zu gefallen, ſich uͤber ſchwierige Stellen hinbewegte. Ich machte ein paar Mal ſchuͤch¬ terne Anſtalten, ihr behuͤlflich zu ſein, allein im¬ mer kam ſie meinen Haͤnden zuvor. Da ſtand an einer erhoͤhten Stelle des Weges die ſchoͤne Judith unter einer dunklen Tanne, deren Stamm wie eine Saͤule von grauem Marmor emporſtieg. Ich hatte ſie lange nicht mehr geſehen, ſie ſchien mit der Zeit noch immer ſchoͤner zu werden und hatte die Arme uͤber einander geſchlagen, eine Roſenknoſpe im Munde, mit welcher ihre Lippen nachlaͤſſig ſpielten. Sie gruͤßte Eines um das Andere, ohne ſich in ein Geſpraͤch einzulaſſen, und als ich ſchließlich auch an die Reihe kam,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/254>, abgerufen am 23.11.2024.