der Kopf gut war, und umgekehrt. Ich ließ sie auch bald unbedient sitzen und freute mich unbe¬ schwert ihrer Nähe; aber der Oheim weckte mich aus diesem Vergnügen, indem er mich aufforderte, Anna einen Hechtkopf auseinander zu legen und ihr die Symbole des Leidens Christi zu zeigen, welche darin enthalten sein sollten. Allein ich hatte diesen Kopf unbesehens gegessen, obschon man früher davon gesprochen, und stellte mich nun zugleich als einen unwissenden Heiden dar; darüber ärgerlich, ergriff ich mit der Faust den mittlerweile entblößten Schinkenknochen, hielt ihn der Anna unter die Augen und sagte, hier wäre noch ein heiliger Nagel vom Kreuze. Ich behielt nun freilich wieder Recht in den Augen der Spötter, doch Anna hatte gerade solche Grobheit nicht verdient, da sie mich nicht verspottet und ganz still neben mir gesessen hatte. Sie wurde über und über roth, ich fühlte augenblicklich mein Unrecht und hätte aus Reue gern den Knochen verschlungen. Verlegen legte ich ihn auf meinen Teller und fügte noch ein paar schlechte Witze hinzu. "Diese Reliquie," sagte ich, "würde aller¬
der Kopf gut war, und umgekehrt. Ich ließ ſie auch bald unbedient ſitzen und freute mich unbe¬ ſchwert ihrer Naͤhe; aber der Oheim weckte mich aus dieſem Vergnuͤgen, indem er mich aufforderte, Anna einen Hechtkopf auseinander zu legen und ihr die Symbole des Leidens Chriſti zu zeigen, welche darin enthalten ſein ſollten. Allein ich hatte dieſen Kopf unbeſehens gegeſſen, obſchon man fruͤher davon geſprochen, und ſtellte mich nun zugleich als einen unwiſſenden Heiden dar; daruͤber aͤrgerlich, ergriff ich mit der Fauſt den mittlerweile entbloͤßten Schinkenknochen, hielt ihn der Anna unter die Augen und ſagte, hier waͤre noch ein heiliger Nagel vom Kreuze. Ich behielt nun freilich wieder Recht in den Augen der Spoͤtter, doch Anna hatte gerade ſolche Grobheit nicht verdient, da ſie mich nicht verſpottet und ganz ſtill neben mir geſeſſen hatte. Sie wurde uͤber und uͤber roth, ich fuͤhlte augenblicklich mein Unrecht und haͤtte aus Reue gern den Knochen verſchlungen. Verlegen legte ich ihn auf meinen Teller und fuͤgte noch ein paar ſchlechte Witze hinzu. »Dieſe Reliquie,« ſagte ich, »wuͤrde aller¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0252"n="242"/>
der Kopf gut war, und umgekehrt. Ich ließ ſie<lb/>
auch bald unbedient ſitzen und freute mich unbe¬<lb/>ſchwert ihrer Naͤhe; aber der Oheim weckte mich<lb/>
aus dieſem Vergnuͤgen, indem er mich aufforderte,<lb/>
Anna einen Hechtkopf auseinander zu legen und<lb/>
ihr die Symbole des Leidens Chriſti zu zeigen,<lb/>
welche darin enthalten ſein ſollten. Allein ich<lb/>
hatte dieſen Kopf unbeſehens gegeſſen, obſchon<lb/>
man fruͤher davon geſprochen, und ſtellte mich<lb/>
nun zugleich als einen unwiſſenden Heiden dar;<lb/>
daruͤber aͤrgerlich, ergriff ich mit der Fauſt den<lb/>
mittlerweile entbloͤßten Schinkenknochen, hielt ihn<lb/>
der Anna unter die Augen und ſagte, hier waͤre<lb/>
noch ein heiliger Nagel vom Kreuze. Ich behielt<lb/>
nun freilich wieder Recht in den Augen der<lb/>
Spoͤtter, doch Anna hatte gerade ſolche Grobheit<lb/>
nicht verdient, da ſie mich nicht verſpottet und<lb/>
ganz ſtill neben mir geſeſſen hatte. Sie wurde<lb/>
uͤber und uͤber roth, ich fuͤhlte augenblicklich mein<lb/>
Unrecht und haͤtte aus Reue gern den Knochen<lb/>
verſchlungen. Verlegen legte ich ihn auf meinen<lb/>
Teller und fuͤgte noch ein paar ſchlechte Witze<lb/>
hinzu. »Dieſe Reliquie,« ſagte ich, »wuͤrde aller¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[242/0252]
der Kopf gut war, und umgekehrt. Ich ließ ſie
auch bald unbedient ſitzen und freute mich unbe¬
ſchwert ihrer Naͤhe; aber der Oheim weckte mich
aus dieſem Vergnuͤgen, indem er mich aufforderte,
Anna einen Hechtkopf auseinander zu legen und
ihr die Symbole des Leidens Chriſti zu zeigen,
welche darin enthalten ſein ſollten. Allein ich
hatte dieſen Kopf unbeſehens gegeſſen, obſchon
man fruͤher davon geſprochen, und ſtellte mich
nun zugleich als einen unwiſſenden Heiden dar;
daruͤber aͤrgerlich, ergriff ich mit der Fauſt den
mittlerweile entbloͤßten Schinkenknochen, hielt ihn
der Anna unter die Augen und ſagte, hier waͤre
noch ein heiliger Nagel vom Kreuze. Ich behielt
nun freilich wieder Recht in den Augen der
Spoͤtter, doch Anna hatte gerade ſolche Grobheit
nicht verdient, da ſie mich nicht verſpottet und
ganz ſtill neben mir geſeſſen hatte. Sie wurde
uͤber und uͤber roth, ich fuͤhlte augenblicklich mein
Unrecht und haͤtte aus Reue gern den Knochen
verſchlungen. Verlegen legte ich ihn auf meinen
Teller und fuͤgte noch ein paar ſchlechte Witze
hinzu. »Dieſe Reliquie,« ſagte ich, »wuͤrde aller¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/252>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.