mit Wichtigkeit sprach: nein, ich hätte nicht Zeit, ich müßte schreiben!
Diesmal ging das ganze Haus zur Kirche, wohl Anna zu Ehren, und nur ich allein blieb zurück. Durch das Fenster sah ich dem ansehn¬ lichen Zuge nach, welcher sich durch die Wiesen unter den Bäumen hin bewegte und dann auf der Höhe des Kirchhofes zum Vorschein kam, um endlich in der Kirchenthür zu verschwinden. Diese wurde bald darauf geschlossen, das Geläute schwieg, der Gesang begann und hallte deutlich und schön herüber. Auch dieser schwieg und nun verbreitete sich ein Meer von Stille über das Dorf, welches einzig dann und wann durch einen kräftigeren Ruf des Predigers unterbrochen wurde. Das Laub und die Millionen Gräser waren mäuschenstill, trieben aber nichts desto minder mit Hin- und Herwackeln allerlei lautlosen Unfug, wie muthwillige Kinder während einer feierlichen Verhandlung. Die abgebrochenen Töne der Pre¬ digt, welche durch einen offenen Fensterflügel sich in die Gegend verloren, klangen seltsam und manchmal wie hollaho! manchmal wie juchhe oder
mit Wichtigkeit ſprach: nein, ich haͤtte nicht Zeit, ich muͤßte ſchreiben!
Diesmal ging das ganze Haus zur Kirche, wohl Anna zu Ehren, und nur ich allein blieb zuruͤck. Durch das Fenſter ſah ich dem anſehn¬ lichen Zuge nach, welcher ſich durch die Wieſen unter den Baͤumen hin bewegte und dann auf der Hoͤhe des Kirchhofes zum Vorſchein kam, um endlich in der Kirchenthuͤr zu verſchwinden. Dieſe wurde bald darauf geſchloſſen, das Gelaͤute ſchwieg, der Geſang begann und hallte deutlich und ſchoͤn heruͤber. Auch dieſer ſchwieg und nun verbreitete ſich ein Meer von Stille uͤber das Dorf, welches einzig dann und wann durch einen kraͤftigeren Ruf des Predigers unterbrochen wurde. Das Laub und die Millionen Graͤſer waren maͤuschenſtill, trieben aber nichts deſto minder mit Hin- und Herwackeln allerlei lautloſen Unfug, wie muthwillige Kinder waͤhrend einer feierlichen Verhandlung. Die abgebrochenen Toͤne der Pre¬ digt, welche durch einen offenen Fenſterfluͤgel ſich in die Gegend verloren, klangen ſeltſam und manchmal wie hollaho! manchmal wie juchhe oder
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0245"n="235"/>
mit Wichtigkeit ſprach: nein, ich haͤtte nicht Zeit,<lb/>
ich muͤßte ſchreiben!</p><lb/><p>Diesmal ging das ganze Haus zur Kirche,<lb/>
wohl Anna zu Ehren, und nur ich allein blieb<lb/>
zuruͤck. Durch das Fenſter ſah ich dem anſehn¬<lb/>
lichen Zuge nach, welcher ſich durch die Wieſen<lb/>
unter den Baͤumen hin bewegte und dann auf<lb/>
der Hoͤhe des Kirchhofes zum Vorſchein kam,<lb/>
um endlich in der Kirchenthuͤr zu verſchwinden.<lb/>
Dieſe wurde bald darauf geſchloſſen, das Gelaͤute<lb/>ſchwieg, der Geſang begann und hallte deutlich<lb/>
und ſchoͤn heruͤber. Auch dieſer ſchwieg und nun<lb/>
verbreitete ſich ein Meer von Stille uͤber das<lb/>
Dorf, welches einzig dann und wann durch einen<lb/>
kraͤftigeren Ruf des Predigers unterbrochen wurde.<lb/>
Das Laub und die Millionen Graͤſer waren<lb/>
maͤuschenſtill, trieben aber nichts deſto minder mit<lb/>
Hin- und Herwackeln allerlei lautloſen Unfug,<lb/>
wie muthwillige Kinder waͤhrend einer feierlichen<lb/>
Verhandlung. Die abgebrochenen Toͤne der Pre¬<lb/>
digt, welche durch einen offenen Fenſterfluͤgel ſich<lb/>
in die Gegend verloren, klangen ſeltſam und<lb/>
manchmal wie hollaho! manchmal wie juchhe oder<lb/></p></div></body></text></TEI>
[235/0245]
mit Wichtigkeit ſprach: nein, ich haͤtte nicht Zeit,
ich muͤßte ſchreiben!
Diesmal ging das ganze Haus zur Kirche,
wohl Anna zu Ehren, und nur ich allein blieb
zuruͤck. Durch das Fenſter ſah ich dem anſehn¬
lichen Zuge nach, welcher ſich durch die Wieſen
unter den Baͤumen hin bewegte und dann auf
der Hoͤhe des Kirchhofes zum Vorſchein kam,
um endlich in der Kirchenthuͤr zu verſchwinden.
Dieſe wurde bald darauf geſchloſſen, das Gelaͤute
ſchwieg, der Geſang begann und hallte deutlich
und ſchoͤn heruͤber. Auch dieſer ſchwieg und nun
verbreitete ſich ein Meer von Stille uͤber das
Dorf, welches einzig dann und wann durch einen
kraͤftigeren Ruf des Predigers unterbrochen wurde.
Das Laub und die Millionen Graͤſer waren
maͤuschenſtill, trieben aber nichts deſto minder mit
Hin- und Herwackeln allerlei lautloſen Unfug,
wie muthwillige Kinder waͤhrend einer feierlichen
Verhandlung. Die abgebrochenen Toͤne der Pre¬
digt, welche durch einen offenen Fenſterfluͤgel ſich
in die Gegend verloren, klangen ſeltſam und
manchmal wie hollaho! manchmal wie juchhe oder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/245>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.