Schlüssel, die stattlichen Notenblätter sah, bedeckt von Hieroglyphen, da stellte es sich heraus, daß ich rein zu gar Nichts zu gebrauchen, und die Nachbaren schüttelten verwundert die Köpfe. Desto eifriger erfüllte ich nun die freie Luft mit meinem Flötenspiele, welches dem schmetternden und doch monotonen Gesange eines großen Vogels gleichen mochte, und empfand, unter stillen Waldsäumen liegend, innig das schäferliche Vergnügen des siebzehnten Jahrhunderts und zwar ohne Absicht und Gemachtheit.
Um diese Zeit hörte ich ein flüchtiges Wort, Anna sei in ihre Heimath zurückgekehrt. Ich hatte sie nun seit zwei Jahren nicht gesehen, wir Beide gingen unserem sechszehnten Geburtstage entgegen. Sogleich rüstete ich mich zur Uebersiedelung nach dem Dorfe und machte mich eines Sonnabends wohlgemuth auf die geliebten Wege. Meine Stimme war gebrochen und ich sang, dieselbe mißbrauchend, mich müd durch die hallenden Wälder. Dann hielt ich inne und die seit kurzem gekommene Tiefe meiner Töne bedenkend, dachte ich an Anna's Stimme und suchte mir einzubil¬
Schluͤſſel, die ſtattlichen Notenblaͤtter ſah, bedeckt von Hieroglyphen, da ſtellte es ſich heraus, daß ich rein zu gar Nichts zu gebrauchen, und die Nachbaren ſchuͤttelten verwundert die Koͤpfe. Deſto eifriger erfuͤllte ich nun die freie Luft mit meinem Floͤtenſpiele, welches dem ſchmetternden und doch monotonen Geſange eines großen Vogels gleichen mochte, und empfand, unter ſtillen Waldſaͤumen liegend, innig das ſchaͤferliche Vergnuͤgen des ſiebzehnten Jahrhunderts und zwar ohne Abſicht und Gemachtheit.
Um dieſe Zeit hoͤrte ich ein fluͤchtiges Wort, Anna ſei in ihre Heimath zuruͤckgekehrt. Ich hatte ſie nun ſeit zwei Jahren nicht geſehen, wir Beide gingen unſerem ſechszehnten Geburtstage entgegen. Sogleich ruͤſtete ich mich zur Ueberſiedelung nach dem Dorfe und machte mich eines Sonnabends wohlgemuth auf die geliebten Wege. Meine Stimme war gebrochen und ich ſang, dieſelbe mißbrauchend, mich muͤd durch die hallenden Waͤlder. Dann hielt ich inne und die ſeit kurzem gekommene Tiefe meiner Toͤne bedenkend, dachte ich an Anna's Stimme und ſuchte mir einzubil¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0228"n="218"/>
Schluͤſſel, die ſtattlichen Notenblaͤtter ſah, bedeckt<lb/>
von Hieroglyphen, da ſtellte es ſich heraus, daß<lb/>
ich rein zu gar Nichts zu gebrauchen, und die<lb/>
Nachbaren ſchuͤttelten verwundert die Koͤpfe. Deſto<lb/>
eifriger erfuͤllte ich nun die freie Luft mit meinem<lb/>
Floͤtenſpiele, welches dem ſchmetternden und doch<lb/>
monotonen Geſange eines großen Vogels gleichen<lb/>
mochte, und empfand, unter ſtillen Waldſaͤumen<lb/>
liegend, innig das ſchaͤferliche Vergnuͤgen des<lb/>ſiebzehnten Jahrhunderts und zwar ohne Abſicht<lb/>
und Gemachtheit.</p><lb/><p>Um dieſe Zeit hoͤrte ich ein fluͤchtiges Wort,<lb/>
Anna ſei in ihre Heimath zuruͤckgekehrt. Ich hatte<lb/>ſie nun ſeit zwei Jahren nicht geſehen, wir Beide<lb/>
gingen unſerem ſechszehnten Geburtstage entgegen.<lb/>
Sogleich ruͤſtete ich mich zur Ueberſiedelung nach<lb/>
dem Dorfe und machte mich eines Sonnabends<lb/>
wohlgemuth auf die geliebten Wege. Meine<lb/>
Stimme war gebrochen und ich ſang, dieſelbe<lb/>
mißbrauchend, mich muͤd durch die hallenden<lb/>
Waͤlder. Dann hielt ich inne und die ſeit kurzem<lb/>
gekommene Tiefe meiner Toͤne bedenkend, dachte<lb/>
ich an Anna's Stimme und ſuchte mir einzubil¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[218/0228]
Schluͤſſel, die ſtattlichen Notenblaͤtter ſah, bedeckt
von Hieroglyphen, da ſtellte es ſich heraus, daß
ich rein zu gar Nichts zu gebrauchen, und die
Nachbaren ſchuͤttelten verwundert die Koͤpfe. Deſto
eifriger erfuͤllte ich nun die freie Luft mit meinem
Floͤtenſpiele, welches dem ſchmetternden und doch
monotonen Geſange eines großen Vogels gleichen
mochte, und empfand, unter ſtillen Waldſaͤumen
liegend, innig das ſchaͤferliche Vergnuͤgen des
ſiebzehnten Jahrhunderts und zwar ohne Abſicht
und Gemachtheit.
Um dieſe Zeit hoͤrte ich ein fluͤchtiges Wort,
Anna ſei in ihre Heimath zuruͤckgekehrt. Ich hatte
ſie nun ſeit zwei Jahren nicht geſehen, wir Beide
gingen unſerem ſechszehnten Geburtstage entgegen.
Sogleich ruͤſtete ich mich zur Ueberſiedelung nach
dem Dorfe und machte mich eines Sonnabends
wohlgemuth auf die geliebten Wege. Meine
Stimme war gebrochen und ich ſang, dieſelbe
mißbrauchend, mich muͤd durch die hallenden
Waͤlder. Dann hielt ich inne und die ſeit kurzem
gekommene Tiefe meiner Toͤne bedenkend, dachte
ich an Anna's Stimme und ſuchte mir einzubil¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/228>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.