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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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delt, sogar Aussprüche tiefsinniger Philosophen,
die, unverstanden, mich mit Achtung vor dem
Freunde erfüllt hatten. Mit solchen hellen Ster¬
nen hatte ich ohnmächtig gerungen; ich war wie
vom Blitz getroffen, ich sah im Geiste meinen
Freund über mich lachend und konnte mir seine
Handlungsweise nur durch eigenen Unwerth er¬
klären. Doch fühlte ich mich schmerzlich beleidigt
und schrieb nach einigem Schweigen einen spötti¬
schen und anzüglichen Brief, mittelst dessen ich
seine angemaßte geistige Herrschaft abzuwerfen,
doch nicht unsere Freundschaft aufzuheben, viel¬
mehr ihn zu treuer Wahrheit zurückzuführen ge¬
dachte. Allein mein verletzter Ehrgeiz ließ mich
zu heftige und spitzige Ausdrücke wählen, mein
Gegner hatte sich nicht über mich lustig machen,
sondern nur mit wenig Mühe meinem Eifer die
Wage halten wollen, wie er sich auch nachher,
in ernsteren Dingen, immer mit solchen Mitteln
zu helfen suchte, obgleich er die Talente zu wirk¬
lichem Streben in vollem Maße und daher auch
Selbstgefühl besaß: so kam es, daß er, um seine
Verlegenheit zu bedecken und ärgerlich über meine

delt, ſogar Ausſpruͤche tiefſinniger Philoſophen,
die, unverſtanden, mich mit Achtung vor dem
Freunde erfuͤllt hatten. Mit ſolchen hellen Ster¬
nen hatte ich ohnmaͤchtig gerungen; ich war wie
vom Blitz getroffen, ich ſah im Geiſte meinen
Freund uͤber mich lachend und konnte mir ſeine
Handlungsweiſe nur durch eigenen Unwerth er¬
klaͤren. Doch fuͤhlte ich mich ſchmerzlich beleidigt
und ſchrieb nach einigem Schweigen einen ſpoͤtti¬
ſchen und anzuͤglichen Brief, mittelſt deſſen ich
ſeine angemaßte geiſtige Herrſchaft abzuwerfen,
doch nicht unſere Freundſchaft aufzuheben, viel¬
mehr ihn zu treuer Wahrheit zuruͤckzufuͤhren ge¬
dachte. Allein mein verletzter Ehrgeiz ließ mich
zu heftige und ſpitzige Ausdruͤcke waͤhlen, mein
Gegner hatte ſich nicht uͤber mich luſtig machen,
ſondern nur mit wenig Muͤhe meinem Eifer die
Wage halten wollen, wie er ſich auch nachher,
in ernſteren Dingen, immer mit ſolchen Mitteln
zu helfen ſuchte, obgleich er die Talente zu wirk¬
lichem Streben in vollem Maße und daher auch
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[212/0222] delt, ſogar Ausſpruͤche tiefſinniger Philoſophen, die, unverſtanden, mich mit Achtung vor dem Freunde erfuͤllt hatten. Mit ſolchen hellen Ster¬ nen hatte ich ohnmaͤchtig gerungen; ich war wie vom Blitz getroffen, ich ſah im Geiſte meinen Freund uͤber mich lachend und konnte mir ſeine Handlungsweiſe nur durch eigenen Unwerth er¬ klaͤren. Doch fuͤhlte ich mich ſchmerzlich beleidigt und ſchrieb nach einigem Schweigen einen ſpoͤtti¬ ſchen und anzuͤglichen Brief, mittelſt deſſen ich ſeine angemaßte geiſtige Herrſchaft abzuwerfen, doch nicht unſere Freundſchaft aufzuheben, viel¬ mehr ihn zu treuer Wahrheit zuruͤckzufuͤhren ge¬ dachte. Allein mein verletzter Ehrgeiz ließ mich zu heftige und ſpitzige Ausdruͤcke waͤhlen, mein Gegner hatte ſich nicht uͤber mich luſtig machen, ſondern nur mit wenig Muͤhe meinem Eifer die Wage halten wollen, wie er ſich auch nachher, in ernſteren Dingen, immer mit ſolchen Mitteln zu helfen ſuchte, obgleich er die Talente zu wirk¬ lichem Streben in vollem Maße und daher auch Selbſtgefuͤhl beſaß: ſo kam es, daß er, um ſeine Verlegenheit zu bedecken und aͤrgerlich uͤber meine

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/222>, abgerufen am 27.11.2024.