träglich war, und was ich an unglücklichem Ge¬ wächse vorfand, das wurde meinen überreizten Augen bald zu blöde und harmlos, wie einem Trinker, der nach immer stärkerem Schnapse ver¬ langt. Das blühende Leben in Berg und Wald fing daher an, mir gleichgültig zu werden im Einzelnen, und ich streifte vom Morgen bis zum Abend in der Wildniß umher, ohne etwas zu thun, und überließ mich einem träumerischen Müßiggange. Ich ging immer schwer bepackt früh hinaus, warf mich an einer einsamen Stelle nieder und verzehrte zuerst die Eßwaaren, so mir die Mutter für den ganzen Tag mitgegeben; als¬ dann las ich in einem mitgenommenen Buche, schaute in die Wellen der plaudernden Bäche, machte mit jedem Stein Bekanntschaft und wie¬ derholte wohl gar längst vergessene kindische Spiele, wie wenn ich dieselben vor Jahren nicht ganz ausgespielt hätte, indem ich allerlei Wasser¬ bauten aufführte, irrende Insekten verfolgte und schamhaft um mich spähte, ob mich Niemand da¬ bei belausche. Auch sah ich Tag für Tag das Hervordringen des grünen jungen Laubes, und
traͤglich war, und was ich an ungluͤcklichem Ge¬ waͤchſe vorfand, das wurde meinen uͤberreizten Augen bald zu bloͤde und harmlos, wie einem Trinker, der nach immer ſtaͤrkerem Schnapſe ver¬ langt. Das bluͤhende Leben in Berg und Wald fing daher an, mir gleichguͤltig zu werden im Einzelnen, und ich ſtreifte vom Morgen bis zum Abend in der Wildniß umher, ohne etwas zu thun, und uͤberließ mich einem traͤumeriſchen Muͤßiggange. Ich ging immer ſchwer bepackt fruͤh hinaus, warf mich an einer einſamen Stelle nieder und verzehrte zuerſt die Eßwaaren, ſo mir die Mutter fuͤr den ganzen Tag mitgegeben; als¬ dann las ich in einem mitgenommenen Buche, ſchaute in die Wellen der plaudernden Baͤche, machte mit jedem Stein Bekanntſchaft und wie¬ derholte wohl gar laͤngſt vergeſſene kindiſche Spiele, wie wenn ich dieſelben vor Jahren nicht ganz ausgeſpielt haͤtte, indem ich allerlei Waſſer¬ bauten auffuͤhrte, irrende Inſekten verfolgte und ſchamhaft um mich ſpaͤhte, ob mich Niemand da¬ bei belauſche. Auch ſah ich Tag fuͤr Tag das Hervordringen des gruͤnen jungen Laubes, und
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traͤglich war, und was ich an ungluͤcklichem Ge¬
waͤchſe vorfand, das wurde meinen uͤberreizten
Augen bald zu bloͤde und harmlos, wie einem
Trinker, der nach immer ſtaͤrkerem Schnapſe ver¬
langt. Das bluͤhende Leben in Berg und Wald
fing daher an, mir gleichguͤltig zu werden im
Einzelnen, und ich ſtreifte vom Morgen bis zum
Abend in der Wildniß umher, ohne etwas zu
thun, und uͤberließ mich einem traͤumeriſchen
Muͤßiggange. Ich ging immer ſchwer bepackt
fruͤh hinaus, warf mich an einer einſamen Stelle
nieder und verzehrte zuerſt die Eßwaaren, ſo mir
die Mutter fuͤr den ganzen Tag mitgegeben; als¬
dann las ich in einem mitgenommenen Buche,
ſchaute in die Wellen der plaudernden Baͤche,
machte mit jedem Stein Bekanntſchaft und wie¬
derholte wohl gar laͤngſt vergeſſene kindiſche
Spiele, wie wenn ich dieſelben vor Jahren nicht
ganz ausgeſpielt haͤtte, indem ich allerlei Waſſer¬
bauten auffuͤhrte, irrende Inſekten verfolgte und
ſchamhaft um mich ſpaͤhte, ob mich Niemand da¬
bei belauſche. Auch ſah ich Tag fuͤr Tag das
Hervordringen des gruͤnen jungen Laubes, und
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/192>, abgerufen am 25.11.2024.
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