Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

munternd und freundlich die Hand boten, und
gleich hinter ihnen, wie ein Himmelsbote, die
allerliebste Anna, welche, blaß und aufgeregt,
mir flüchtig das Händchen reichte und schim¬
mernde Thränen darüber fallen ließ. Weil ich
seltsamer Weise gar nicht an sie gedacht und auf
sie gehofft hatte, schwebte sie mir jetzt um so
überraschender und reizender vorüber, wie ein
Bild aus glücklicheren Räumen.

Zuletzt erschöpfte sich doch die Frauenwelt und
wir traten vor das Haus, wo eine unabsehbare
Schaar bedächtiger Männer harrte, um mit uns,
die wieder eine Reihe bildeten, den gleichen Ge¬
brauch vorzunehmen. Sie machten es zwar be¬
deutend kürzer und rascher, als ihre Weiber,
Töchter und Schwestern, allein dafür gebrauchten
sie ihre schwieligen harten Hände wie Schmiede¬
zangen und Schraubstöcke, und aus mancher
Faust brauner Ackermänner glaubte ich meine
Hand nicht mehr heil zurückzuziehen.

Endlich schwankte der Sarg vor uns her, die
Weiber schluchzten und die Männer sahen bedenk¬
lich und verlegen vor sich nieder, der Geistliche

munternd und freundlich die Hand boten, und
gleich hinter ihnen, wie ein Himmelsbote, die
allerliebſte Anna, welche, blaß und aufgeregt,
mir fluͤchtig das Haͤndchen reichte und ſchim¬
mernde Thraͤnen daruͤber fallen ließ. Weil ich
ſeltſamer Weiſe gar nicht an ſie gedacht und auf
ſie gehofft hatte, ſchwebte ſie mir jetzt um ſo
uͤberraſchender und reizender voruͤber, wie ein
Bild aus gluͤcklicheren Raͤumen.

Zuletzt erſchoͤpfte ſich doch die Frauenwelt und
wir traten vor das Haus, wo eine unabſehbare
Schaar bedaͤchtiger Maͤnner harrte, um mit uns,
die wieder eine Reihe bildeten, den gleichen Ge¬
brauch vorzunehmen. Sie machten es zwar be¬
deutend kuͤrzer und raſcher, als ihre Weiber,
Toͤchter und Schweſtern, allein dafuͤr gebrauchten
ſie ihre ſchwieligen harten Haͤnde wie Schmiede¬
zangen und Schraubſtoͤcke, und aus mancher
Fauſt brauner Ackermaͤnner glaubte ich meine
Hand nicht mehr heil zuruͤckzuziehen.

Endlich ſchwankte der Sarg vor uns her, die
Weiber ſchluchzten und die Maͤnner ſahen bedenk¬
lich und verlegen vor ſich nieder, der Geiſtliche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0144" n="134"/>
munternd und freundlich die Hand boten, und<lb/>
gleich hinter ihnen, wie ein Himmelsbote, die<lb/>
allerlieb&#x017F;te Anna, welche, blaß und aufgeregt,<lb/>
mir flu&#x0364;chtig das Ha&#x0364;ndchen reichte und &#x017F;chim¬<lb/>
mernde Thra&#x0364;nen daru&#x0364;ber fallen ließ. Weil ich<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;amer Wei&#x017F;e gar nicht an &#x017F;ie gedacht und auf<lb/>
&#x017F;ie gehofft hatte, &#x017F;chwebte &#x017F;ie mir jetzt um &#x017F;o<lb/>
u&#x0364;berra&#x017F;chender und reizender voru&#x0364;ber, wie ein<lb/>
Bild aus glu&#x0364;cklicheren Ra&#x0364;umen.</p><lb/>
        <p>Zuletzt er&#x017F;cho&#x0364;pfte &#x017F;ich doch die Frauenwelt und<lb/>
wir traten vor das Haus, wo eine unab&#x017F;ehbare<lb/>
Schaar beda&#x0364;chtiger Ma&#x0364;nner harrte, um mit uns,<lb/>
die wieder eine Reihe bildeten, den gleichen Ge¬<lb/>
brauch vorzunehmen. Sie machten es zwar be¬<lb/>
deutend ku&#x0364;rzer und ra&#x017F;cher, als ihre Weiber,<lb/>
To&#x0364;chter und Schwe&#x017F;tern, allein dafu&#x0364;r gebrauchten<lb/>
&#x017F;ie ihre &#x017F;chwieligen harten Ha&#x0364;nde wie Schmiede¬<lb/>
zangen und Schraub&#x017F;to&#x0364;cke, und aus mancher<lb/>
Fau&#x017F;t brauner Ackerma&#x0364;nner glaubte ich meine<lb/>
Hand nicht mehr heil zuru&#x0364;ckzuziehen.</p><lb/>
        <p>Endlich &#x017F;chwankte der Sarg vor uns her, die<lb/>
Weiber &#x017F;chluchzten und die Ma&#x0364;nner &#x017F;ahen bedenk¬<lb/>
lich und verlegen vor &#x017F;ich nieder, der Gei&#x017F;tliche<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0144] munternd und freundlich die Hand boten, und gleich hinter ihnen, wie ein Himmelsbote, die allerliebſte Anna, welche, blaß und aufgeregt, mir fluͤchtig das Haͤndchen reichte und ſchim¬ mernde Thraͤnen daruͤber fallen ließ. Weil ich ſeltſamer Weiſe gar nicht an ſie gedacht und auf ſie gehofft hatte, ſchwebte ſie mir jetzt um ſo uͤberraſchender und reizender voruͤber, wie ein Bild aus gluͤcklicheren Raͤumen. Zuletzt erſchoͤpfte ſich doch die Frauenwelt und wir traten vor das Haus, wo eine unabſehbare Schaar bedaͤchtiger Maͤnner harrte, um mit uns, die wieder eine Reihe bildeten, den gleichen Ge¬ brauch vorzunehmen. Sie machten es zwar be¬ deutend kuͤrzer und raſcher, als ihre Weiber, Toͤchter und Schweſtern, allein dafuͤr gebrauchten ſie ihre ſchwieligen harten Haͤnde wie Schmiede¬ zangen und Schraubſtoͤcke, und aus mancher Fauſt brauner Ackermaͤnner glaubte ich meine Hand nicht mehr heil zuruͤckzuziehen. Endlich ſchwankte der Sarg vor uns her, die Weiber ſchluchzten und die Maͤnner ſahen bedenk¬ lich und verlegen vor ſich nieder, der Geiſtliche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/144
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/144>, abgerufen am 27.11.2024.