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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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grünen Habit an der Spitze der ganzen Trauer¬
gesellschaft und war den umständlichen und lang¬
wierigen Zeremonien zuerst ausgesetzt. Die nähere
Verwandtschaft war in der aufgeräumten großen
Wohnstube versammelt und harrte auf das weib¬
liche Geschlecht, welches erscheinen sollte, um hier
seine Beileidsbezeugungen abzustatten. Nachdem
wir eine geraume Weile stumm und aufrecht
längs den Wänden gestanden, traten nach und
nach viele bejahrte Bäuerinnen herein, in schwar¬
zer Tracht, fingen bei mir an, eine um die an¬
dere, indem sie mir die Hand boten, ihren Spruch
sagten und zum Nächsten fortschritten auf gleiche
Weise. Diese Matronen gingen größtentheils
gebückt und zitternd und sprachen ihre Worte
mit Rührung als alte Freundinnen und Be¬
kannte der Seligen und als Solche, welche die
Nähe des Todes doppelt empfanden. Sie sahen
mich alle fest und bedeutungsvoll an, ich mußte
jeder Einzelnen danken und sie ebenfalls ansehen,
was ich ohnehin gethan hätte, da mir jede dieser
Gestalten ihres ausgeprägten Lebens und Schick¬
sales wegen auffallen mußte. Manchmal war

gruͤnen Habit an der Spitze der ganzen Trauer¬
geſellſchaft und war den umſtaͤndlichen und lang¬
wierigen Zeremonien zuerſt ausgeſetzt. Die naͤhere
Verwandtſchaft war in der aufgeraͤumten großen
Wohnſtube verſammelt und harrte auf das weib¬
liche Geſchlecht, welches erſcheinen ſollte, um hier
ſeine Beileidsbezeugungen abzuſtatten. Nachdem
wir eine geraume Weile ſtumm und aufrecht
laͤngs den Waͤnden geſtanden, traten nach und
nach viele bejahrte Baͤuerinnen herein, in ſchwar¬
zer Tracht, fingen bei mir an, eine um die an¬
dere, indem ſie mir die Hand boten, ihren Spruch
ſagten und zum Naͤchſten fortſchritten auf gleiche
Weiſe. Dieſe Matronen gingen groͤßtentheils
gebuͤckt und zitternd und ſprachen ihre Worte
mit Ruͤhrung als alte Freundinnen und Be¬
kannte der Seligen und als Solche, welche die
Naͤhe des Todes doppelt empfanden. Sie ſahen
mich alle feſt und bedeutungsvoll an, ich mußte
jeder Einzelnen danken und ſie ebenfalls anſehen,
was ich ohnehin gethan haͤtte, da mir jede dieſer
Geſtalten ihres ausgepraͤgten Lebens und Schick¬
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[132/0142] gruͤnen Habit an der Spitze der ganzen Trauer¬ geſellſchaft und war den umſtaͤndlichen und lang¬ wierigen Zeremonien zuerſt ausgeſetzt. Die naͤhere Verwandtſchaft war in der aufgeraͤumten großen Wohnſtube verſammelt und harrte auf das weib¬ liche Geſchlecht, welches erſcheinen ſollte, um hier ſeine Beileidsbezeugungen abzuſtatten. Nachdem wir eine geraume Weile ſtumm und aufrecht laͤngs den Waͤnden geſtanden, traten nach und nach viele bejahrte Baͤuerinnen herein, in ſchwar¬ zer Tracht, fingen bei mir an, eine um die an¬ dere, indem ſie mir die Hand boten, ihren Spruch ſagten und zum Naͤchſten fortſchritten auf gleiche Weiſe. Dieſe Matronen gingen groͤßtentheils gebuͤckt und zitternd und ſprachen ihre Worte mit Ruͤhrung als alte Freundinnen und Be¬ kannte der Seligen und als Solche, welche die Naͤhe des Todes doppelt empfanden. Sie ſahen mich alle feſt und bedeutungsvoll an, ich mußte jeder Einzelnen danken und ſie ebenfalls anſehen, was ich ohnehin gethan haͤtte, da mir jede dieſer Geſtalten ihres ausgepraͤgten Lebens und Schick¬ ſales wegen auffallen mußte. Manchmal war

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/142>, abgerufen am 27.11.2024.