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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Ich blieb die Zeit über ziemlich ernst, da der
ganze Verlauf mich angegriffen und mir über¬
dies die Großmutter sehr lieb und verehrungs¬
würdig gewesen, ungeachtet ich sie seit Kurzem
kannte. Diese Stimmung war nun wiederum
meiner Freundin unbehaglich und sie suchte mich
mit tausend Listen aufzuheitern, und glich hierin
den übrigen Frauen, welche alle wieder plaudernd
und raisonnirend vor ihren Häusern standen.

Der Mann der todten Großmutter that nun,
während er sich bequem fühlte, als ob er sehr
viel verloren und seine Frau im Leben werth ge¬
halten hätte. Er ordnete eine pomphafte Leichen¬
feier an, woran über sechzig Personen theilneh¬
men sollten, und ließ es an Nichts fehlen, alle
alten Gebräuche in ihrem vollen Umfange zu
beobachten.

Am bezeichneten Tage begab ich mich mit
dem Schulmeister und mit Anna auf den Weg;
er trug einen feierlichen schwarzen Frack mit sehr
breiten Schößen und eine gestickte weiße Hals¬
binde, Anna ebenfalls ihr schwarzes Kirchen¬
gewand und eine ihrer eigenthümlichen Krausen,

Ich blieb die Zeit uͤber ziemlich ernſt, da der
ganze Verlauf mich angegriffen und mir uͤber¬
dies die Großmutter ſehr lieb und verehrungs¬
wuͤrdig geweſen, ungeachtet ich ſie ſeit Kurzem
kannte. Dieſe Stimmung war nun wiederum
meiner Freundin unbehaglich und ſie ſuchte mich
mit tauſend Liſten aufzuheitern, und glich hierin
den uͤbrigen Frauen, welche alle wieder plaudernd
und raiſonnirend vor ihren Haͤuſern ſtanden.

Der Mann der todten Großmutter that nun,
waͤhrend er ſich bequem fuͤhlte, als ob er ſehr
viel verloren und ſeine Frau im Leben werth ge¬
halten haͤtte. Er ordnete eine pomphafte Leichen¬
feier an, woran uͤber ſechzig Perſonen theilneh¬
men ſollten, und ließ es an Nichts fehlen, alle
alten Gebraͤuche in ihrem vollen Umfange zu
beobachten.

Am bezeichneten Tage begab ich mich mit
dem Schulmeiſter und mit Anna auf den Weg;
er trug einen feierlichen ſchwarzen Frack mit ſehr
breiten Schoͤßen und eine geſtickte weiße Hals¬
binde, Anna ebenfalls ihr ſchwarzes Kirchen¬
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[130/0140] Ich blieb die Zeit uͤber ziemlich ernſt, da der ganze Verlauf mich angegriffen und mir uͤber¬ dies die Großmutter ſehr lieb und verehrungs¬ wuͤrdig geweſen, ungeachtet ich ſie ſeit Kurzem kannte. Dieſe Stimmung war nun wiederum meiner Freundin unbehaglich und ſie ſuchte mich mit tauſend Liſten aufzuheitern, und glich hierin den uͤbrigen Frauen, welche alle wieder plaudernd und raiſonnirend vor ihren Haͤuſern ſtanden. Der Mann der todten Großmutter that nun, waͤhrend er ſich bequem fuͤhlte, als ob er ſehr viel verloren und ſeine Frau im Leben werth ge¬ halten haͤtte. Er ordnete eine pomphafte Leichen¬ feier an, woran uͤber ſechzig Perſonen theilneh¬ men ſollten, und ließ es an Nichts fehlen, alle alten Gebraͤuche in ihrem vollen Umfange zu beobachten. Am bezeichneten Tage begab ich mich mit dem Schulmeiſter und mit Anna auf den Weg; er trug einen feierlichen ſchwarzen Frack mit ſehr breiten Schoͤßen und eine geſtickte weiße Hals¬ binde, Anna ebenfalls ihr ſchwarzes Kirchen¬ gewand und eine ihrer eigenthuͤmlichen Krauſen,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/140>, abgerufen am 27.11.2024.