halt in der dumpfen Krankenstube mir ungewohnt und trübselig waren. Als sie aber in das eigent¬ liche Sterben kam, welches mehrere Tage dauerte, wurde mir diese Pflicht zu einer ernsten und strengen Uebung. Ich hatte noch nie Jemanden sterben sehen und sah nun die bewußtlose, oder wenigstens so scheinende Greisin mehrere Tage röchelnd im Todeskampfe liegen, denn ihr Lebens¬ funke mochte fast nicht erlöschen. Die Sitte ver¬ langte, daß immer mindestens drei Personen in dem Gemache sich aufhielten, um abwechselnd zu beten und den fremden Besuchern, welche unab¬ lässig eintraten, die Ehren zu erweisen und Nach¬ richt zu geben. Nun hatten aber die Leute, bei dem goldenen Wetter, gerade viel zu arbeiten, und ich, der ich nichts zu thun hatte und geläu¬ fig las, war ihnen daher willkommen und wurde den größten Theil des Tages am Todesbette festgehalten. Die Weiber hatten zudem insbeson¬ dere ein großes Bedürfniß, die Traurigkeit und den Schrecken des Todes recht auszubeuten, und da die Männer sich niemals lange in der Kam¬ mer aufhielten, waren sie froh, mich für Alle
halt in der dumpfen Krankenſtube mir ungewohnt und truͤbſelig waren. Als ſie aber in das eigent¬ liche Sterben kam, welches mehrere Tage dauerte, wurde mir dieſe Pflicht zu einer ernſten und ſtrengen Uebung. Ich hatte noch nie Jemanden ſterben ſehen und ſah nun die bewußtloſe, oder wenigſtens ſo ſcheinende Greiſin mehrere Tage roͤchelnd im Todeskampfe liegen, denn ihr Lebens¬ funke mochte faſt nicht erloͤſchen. Die Sitte ver¬ langte, daß immer mindeſtens drei Perſonen in dem Gemache ſich aufhielten, um abwechſelnd zu beten und den fremden Beſuchern, welche unab¬ laͤſſig eintraten, die Ehren zu erweiſen und Nach¬ richt zu geben. Nun hatten aber die Leute, bei dem goldenen Wetter, gerade viel zu arbeiten, und ich, der ich nichts zu thun hatte und gelaͤu¬ fig las, war ihnen daher willkommen und wurde den groͤßten Theil des Tages am Todesbette feſtgehalten. Die Weiber hatten zudem insbeſon¬ dere ein großes Beduͤrfniß, die Traurigkeit und den Schrecken des Todes recht auszubeuten, und da die Maͤnner ſich niemals lange in der Kam¬ mer aufhielten, waren ſie froh, mich fuͤr Alle
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0137"n="127"/>
halt in der dumpfen Krankenſtube mir ungewohnt<lb/>
und truͤbſelig waren. Als ſie aber in das eigent¬<lb/>
liche Sterben kam, welches mehrere Tage dauerte,<lb/>
wurde mir dieſe Pflicht zu einer ernſten und<lb/>ſtrengen Uebung. Ich hatte noch nie Jemanden<lb/>ſterben ſehen und ſah nun die bewußtloſe, oder<lb/>
wenigſtens ſo ſcheinende Greiſin mehrere Tage<lb/>
roͤchelnd im Todeskampfe liegen, denn ihr Lebens¬<lb/>
funke mochte faſt nicht erloͤſchen. Die Sitte ver¬<lb/>
langte, daß immer mindeſtens drei Perſonen in<lb/>
dem Gemache ſich aufhielten, um abwechſelnd zu<lb/>
beten und den fremden Beſuchern, welche unab¬<lb/>
laͤſſig eintraten, die Ehren zu erweiſen und Nach¬<lb/>
richt zu geben. Nun hatten aber die Leute, bei<lb/>
dem goldenen Wetter, gerade viel zu arbeiten,<lb/>
und ich, der ich nichts zu thun hatte und gelaͤu¬<lb/>
fig las, war ihnen daher willkommen und wurde<lb/>
den groͤßten Theil des Tages am Todesbette<lb/>
feſtgehalten. Die Weiber hatten zudem insbeſon¬<lb/>
dere ein großes Beduͤrfniß, die Traurigkeit und<lb/>
den Schrecken des Todes recht auszubeuten, und<lb/>
da die Maͤnner ſich niemals lange in der Kam¬<lb/>
mer aufhielten, waren ſie froh, mich fuͤr Alle<lb/></p></div></body></text></TEI>
[127/0137]
halt in der dumpfen Krankenſtube mir ungewohnt
und truͤbſelig waren. Als ſie aber in das eigent¬
liche Sterben kam, welches mehrere Tage dauerte,
wurde mir dieſe Pflicht zu einer ernſten und
ſtrengen Uebung. Ich hatte noch nie Jemanden
ſterben ſehen und ſah nun die bewußtloſe, oder
wenigſtens ſo ſcheinende Greiſin mehrere Tage
roͤchelnd im Todeskampfe liegen, denn ihr Lebens¬
funke mochte faſt nicht erloͤſchen. Die Sitte ver¬
langte, daß immer mindeſtens drei Perſonen in
dem Gemache ſich aufhielten, um abwechſelnd zu
beten und den fremden Beſuchern, welche unab¬
laͤſſig eintraten, die Ehren zu erweiſen und Nach¬
richt zu geben. Nun hatten aber die Leute, bei
dem goldenen Wetter, gerade viel zu arbeiten,
und ich, der ich nichts zu thun hatte und gelaͤu¬
fig las, war ihnen daher willkommen und wurde
den groͤßten Theil des Tages am Todesbette
feſtgehalten. Die Weiber hatten zudem insbeſon¬
dere ein großes Beduͤrfniß, die Traurigkeit und
den Schrecken des Todes recht auszubeuten, und
da die Maͤnner ſich niemals lange in der Kam¬
mer aufhielten, waren ſie froh, mich fuͤr Alle
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/137>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.