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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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erklären, es mußte doch ein geheimer Weg dort¬
hin führen, welcher nur unter dem unglücklichen
Volke, das solche Schlupfwinkel braucht, bekannt
sein mochte. Wir gaben uns in einem einsamen
Winkel feierlich das Wort, den Aufenthalt der
Armen nicht zu verrathen, und hatten nun ein
artiges Geheimniß zusammen.

So lebten wir, unbefangen und glücklich,
manche Tage dahin, bald ging ich über den Berg,
bald kam Anna zu uns, und unsere Freundschaft
galt schon für eine ausgemachte Sache, an der
Niemand ein Arges fand, und ich war am Ende
der Einzige, welcher heimlich ihr den Namen
Liebe gab, weil mir einmal nach alter Weise
Alles sich zum entschiedenen Romane gestaltete.

Um diese Zeit erkrankte meine Großmutter,
nach und nach, doch immer ernstlicher, und nach
wenigen Wochen sah man, daß sie sterben würde.
Sie hatte genug gelebt und war müde; so lange
sie noch bei guten Sinnen war, sah sie gern,
wenn ich eine Stunde oder zwei an ihrem Bette
verweilte, und ich fügte mich willig dieser Pflicht,
obgleich der Anblick ihres Leidens und der Aufent¬

erklaͤren, es mußte doch ein geheimer Weg dort¬
hin fuͤhren, welcher nur unter dem ungluͤcklichen
Volke, das ſolche Schlupfwinkel braucht, bekannt
ſein mochte. Wir gaben uns in einem einſamen
Winkel feierlich das Wort, den Aufenthalt der
Armen nicht zu verrathen, und hatten nun ein
artiges Geheimniß zuſammen.

So lebten wir, unbefangen und gluͤcklich,
manche Tage dahin, bald ging ich uͤber den Berg,
bald kam Anna zu uns, und unſere Freundſchaft
galt ſchon fuͤr eine ausgemachte Sache, an der
Niemand ein Arges fand, und ich war am Ende
der Einzige, welcher heimlich ihr den Namen
Liebe gab, weil mir einmal nach alter Weiſe
Alles ſich zum entſchiedenen Romane geſtaltete.

Um dieſe Zeit erkrankte meine Großmutter,
nach und nach, doch immer ernſtlicher, und nach
wenigen Wochen ſah man, daß ſie ſterben wuͤrde.
Sie hatte genug gelebt und war muͤde; ſo lange
ſie noch bei guten Sinnen war, ſah ſie gern,
wenn ich eine Stunde oder zwei an ihrem Bette
verweilte, und ich fuͤgte mich willig dieſer Pflicht,
obgleich der Anblick ihres Leidens und der Aufent¬

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[126/0136] erklaͤren, es mußte doch ein geheimer Weg dort¬ hin fuͤhren, welcher nur unter dem ungluͤcklichen Volke, das ſolche Schlupfwinkel braucht, bekannt ſein mochte. Wir gaben uns in einem einſamen Winkel feierlich das Wort, den Aufenthalt der Armen nicht zu verrathen, und hatten nun ein artiges Geheimniß zuſammen. So lebten wir, unbefangen und gluͤcklich, manche Tage dahin, bald ging ich uͤber den Berg, bald kam Anna zu uns, und unſere Freundſchaft galt ſchon fuͤr eine ausgemachte Sache, an der Niemand ein Arges fand, und ich war am Ende der Einzige, welcher heimlich ihr den Namen Liebe gab, weil mir einmal nach alter Weiſe Alles ſich zum entſchiedenen Romane geſtaltete. Um dieſe Zeit erkrankte meine Großmutter, nach und nach, doch immer ernſtlicher, und nach wenigen Wochen ſah man, daß ſie ſterben wuͤrde. Sie hatte genug gelebt und war muͤde; ſo lange ſie noch bei guten Sinnen war, ſah ſie gern, wenn ich eine Stunde oder zwei an ihrem Bette verweilte, und ich fuͤgte mich willig dieſer Pflicht, obgleich der Anblick ihres Leidens und der Aufent¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/136>, abgerufen am 23.11.2024.