und hing die Beine über die Wand herunter. Alle Augen starrten nach uns, sie lächelten schmerzlich und streckten die Hände nach uns aus, wie wenn sie um Etwas flehten. Es ward uns bange, wir standen eilig auf, Anna flüsterte, in¬ dem sie perlende Thränen vergoß: "O, die armen, armen Heidenleute!" Denn sie glaubte fest, die Geister derselben zu sehen, besonders da man in der Gegend überzeugt war, daß kein menschlicher Weg zu jener Stelle führe. "Wir wollen ihnen etwas opfern," sagte das Mädchen leise zu mir, "damit sie unser Mitleid gewahr werden!" Sie zog eine Münze aus ihrem Beutelchen, ich ahmte ihr nach und wir legten unsere Spende auf einen Stein, der am Ufer lag. Noch einmal sahen wir hinauf, wo die seltsame Erscheinung uns fort¬ während beobachtete und mit dankenden Gebehr¬ den nachschaute.
Als wir im Dorfe anlangten, hieß es, man habe eine Bande Heimathloser in der Gegend gesehen und man würde dieselben nächster Tage aufsuchen, um sie über die Gränze zu bringen. Anna und ich konnten uns nun die Erscheinung
und hing die Beine uͤber die Wand herunter. Alle Augen ſtarrten nach uns, ſie laͤchelten ſchmerzlich und ſtreckten die Haͤnde nach uns aus, wie wenn ſie um Etwas flehten. Es ward uns bange, wir ſtanden eilig auf, Anna fluͤſterte, in¬ dem ſie perlende Thraͤnen vergoß: »O, die armen, armen Heidenleute!« Denn ſie glaubte feſt, die Geiſter derſelben zu ſehen, beſonders da man in der Gegend uͤberzeugt war, daß kein menſchlicher Weg zu jener Stelle fuͤhre. »Wir wollen ihnen etwas opfern,« ſagte das Maͤdchen leiſe zu mir, »damit ſie unſer Mitleid gewahr werden!« Sie zog eine Muͤnze aus ihrem Beutelchen, ich ahmte ihr nach und wir legten unſere Spende auf einen Stein, der am Ufer lag. Noch einmal ſahen wir hinauf, wo die ſeltſame Erſcheinung uns fort¬ waͤhrend beobachtete und mit dankenden Gebehr¬ den nachſchaute.
Als wir im Dorfe anlangten, hieß es, man habe eine Bande Heimathloſer in der Gegend geſehen und man wuͤrde dieſelben naͤchſter Tage aufſuchen, um ſie uͤber die Graͤnze zu bringen. Anna und ich konnten uns nun die Erſcheinung
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und hing die Beine uͤber die Wand herunter.
Alle Augen ſtarrten nach uns, ſie laͤchelten
ſchmerzlich und ſtreckten die Haͤnde nach uns aus,
wie wenn ſie um Etwas flehten. Es ward uns
bange, wir ſtanden eilig auf, Anna fluͤſterte, in¬
dem ſie perlende Thraͤnen vergoß: »O, die armen,
armen Heidenleute!« Denn ſie glaubte feſt, die
Geiſter derſelben zu ſehen, beſonders da man in
der Gegend uͤberzeugt war, daß kein menſchlicher
Weg zu jener Stelle fuͤhre. »Wir wollen ihnen
etwas opfern,« ſagte das Maͤdchen leiſe zu mir,
»damit ſie unſer Mitleid gewahr werden!« Sie
zog eine Muͤnze aus ihrem Beutelchen, ich ahmte
ihr nach und wir legten unſere Spende auf einen
Stein, der am Ufer lag. Noch einmal ſahen wir
hinauf, wo die ſeltſame Erſcheinung uns fort¬
waͤhrend beobachtete und mit dankenden Gebehr¬
den nachſchaute.
Als wir im Dorfe anlangten, hieß es, man
habe eine Bande Heimathloſer in der Gegend
geſehen und man wuͤrde dieſelben naͤchſter Tage
aufſuchen, um ſie uͤber die Graͤnze zu bringen.
Anna und ich konnten uns nun die Erſcheinung
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/135>, abgerufen am 23.11.2024.
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