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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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"Es ist nicht wahr," behauptete Katherine,
"Heinrich bekommt einen Kuß von Dir, Du
Hexe!"

"Ei schäme Dich doch, so zu lügen, Kathe¬
rine," sagte das verlegene Kind, und die uner¬
bittliche Magd erwiederte: "Sei dem wie ihm
wolle, der Berg ist gefallen, ehe Du Dich drei
Mal gedreht hast, und Du bist dem Herrn Hein¬
rich einen Kuß schuldig!"

"Den will ich auch schuldig bleiben," rief sie
lachend, und ich, selbst froh der feierlichen Zere¬
monie entflohen zu sein und doch die Sache zu
meinem Vortheile lenkend, sagte: "Gut, so ver¬
sprich mir, daß Du mir immer und jederzeit
einen Kuß schuldig sein willst!"

"Ja, das will ich," rief sie und schlug leicht¬
sinnig und muthwillig auf meine dargebotene
Hand, daß es schallte. Sie war jetzt überhaupt
ganz lebendig, laut und beweglich wie Quecksilber
und schien ein ganz anderes Wesen zu sein, als
am Tage. Die Mitternacht schien sie zu ver¬
wandeln, ihr Gesichtchen war ganz geröthet und
ihre Augen glänzten vor Freude. Sie tanzte

»Es iſt nicht wahr,« behauptete Katherine,
»Heinrich bekommt einen Kuß von Dir, Du
Hexe!«

»Ei ſchaͤme Dich doch, ſo zu luͤgen, Kathe¬
rine,« ſagte das verlegene Kind, und die uner¬
bittliche Magd erwiederte: »Sei dem wie ihm
wolle, der Berg iſt gefallen, ehe Du Dich drei
Mal gedreht haſt, und Du biſt dem Herrn Hein¬
rich einen Kuß ſchuldig!«

»Den will ich auch ſchuldig bleiben,« rief ſie
lachend, und ich, ſelbſt froh der feierlichen Zere¬
monie entflohen zu ſein und doch die Sache zu
meinem Vortheile lenkend, ſagte: »Gut, ſo ver¬
ſprich mir, daß Du mir immer und jederzeit
einen Kuß ſchuldig ſein willſt!«

»Ja, das will ich,« rief ſie und ſchlug leicht¬
ſinnig und muthwillig auf meine dargebotene
Hand, daß es ſchallte. Sie war jetzt uͤberhaupt
ganz lebendig, laut und beweglich wie Queckſilber
und ſchien ein ganz anderes Weſen zu ſein, als
am Tage. Die Mitternacht ſchien ſie zu ver¬
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ihre Augen glaͤnzten vor Freude. Sie tanzte

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[118/0128] »Es iſt nicht wahr,« behauptete Katherine, »Heinrich bekommt einen Kuß von Dir, Du Hexe!« »Ei ſchaͤme Dich doch, ſo zu luͤgen, Kathe¬ rine,« ſagte das verlegene Kind, und die uner¬ bittliche Magd erwiederte: »Sei dem wie ihm wolle, der Berg iſt gefallen, ehe Du Dich drei Mal gedreht haſt, und Du biſt dem Herrn Hein¬ rich einen Kuß ſchuldig!« »Den will ich auch ſchuldig bleiben,« rief ſie lachend, und ich, ſelbſt froh der feierlichen Zere¬ monie entflohen zu ſein und doch die Sache zu meinem Vortheile lenkend, ſagte: »Gut, ſo ver¬ ſprich mir, daß Du mir immer und jederzeit einen Kuß ſchuldig ſein willſt!« »Ja, das will ich,« rief ſie und ſchlug leicht¬ ſinnig und muthwillig auf meine dargebotene Hand, daß es ſchallte. Sie war jetzt uͤberhaupt ganz lebendig, laut und beweglich wie Queckſilber und ſchien ein ganz anderes Weſen zu ſein, als am Tage. Die Mitternacht ſchien ſie zu ver¬ wandeln, ihr Geſichtchen war ganz geroͤthet und ihre Augen glaͤnzten vor Freude. Sie tanzte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/128>, abgerufen am 23.11.2024.