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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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grub und die Alte den ganzen Vorrath ihrer
Sagen und Schwänke heraufbeschwor und uns
Beide, die wir wach und munter blieben, wie
Wieselchen, so lachen machte, daß uns die Thrä¬
nen über die Wangen liefen. Anna, welche mir
gegenüber saß, baute ihren Hohlweg in die Boh¬
nen hinein mit vieler Kunst, eine Bohne nach
der andern herausnehmend, und grub unvermerkt
einen unterirdischen Stollen, so daß plötzlich ihr
kleines Händchen in meiner Höhle zu Tage trat,
als ein Bergmännchen, und von meinen Bohnen
wegschleppte in die grauliche Finsterniß hinein.
Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte ge¬
mäß verpflichtet sei, mich zu küssen, wenn ich
ihre Finger erwischen könne, jedoch dürfe der
Berg darüber nicht zusammenfallen, und ich
legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub sie
sich noch verschiedene Wege und begann mich auf
die listigste Weise zu necken; die Hand in der
Tiefe des Bohnengebirges versteckt, sah sie mich
über dasselbe her mit ihren blauen Augen neckisch
an, indessen sie hier eine Fingerspitze hervorgucken
ließ, dort die Bohnen bewegte, wie ein unsicht¬

grub und die Alte den ganzen Vorrath ihrer
Sagen und Schwaͤnke heraufbeſchwor und uns
Beide, die wir wach und munter blieben, wie
Wieſelchen, ſo lachen machte, daß uns die Thraͤ¬
nen uͤber die Wangen liefen. Anna, welche mir
gegenuͤber ſaß, baute ihren Hohlweg in die Boh¬
nen hinein mit vieler Kunſt, eine Bohne nach
der andern herausnehmend, und grub unvermerkt
einen unterirdiſchen Stollen, ſo daß ploͤtzlich ihr
kleines Haͤndchen in meiner Hoͤhle zu Tage trat,
als ein Bergmaͤnnchen, und von meinen Bohnen
wegſchleppte in die grauliche Finſterniß hinein.
Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte ge¬
maͤß verpflichtet ſei, mich zu kuͤſſen, wenn ich
ihre Finger erwiſchen koͤnne, jedoch duͤrfe der
Berg daruͤber nicht zuſammenfallen, und ich
legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub ſie
ſich noch verſchiedene Wege und begann mich auf
die liſtigſte Weiſe zu necken; die Hand in der
Tiefe des Bohnengebirges verſteckt, ſah ſie mich
uͤber daſſelbe her mit ihren blauen Augen neckiſch
an, indeſſen ſie hier eine Fingerſpitze hervorgucken
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[116/0126] grub und die Alte den ganzen Vorrath ihrer Sagen und Schwaͤnke heraufbeſchwor und uns Beide, die wir wach und munter blieben, wie Wieſelchen, ſo lachen machte, daß uns die Thraͤ¬ nen uͤber die Wangen liefen. Anna, welche mir gegenuͤber ſaß, baute ihren Hohlweg in die Boh¬ nen hinein mit vieler Kunſt, eine Bohne nach der andern herausnehmend, und grub unvermerkt einen unterirdiſchen Stollen, ſo daß ploͤtzlich ihr kleines Haͤndchen in meiner Hoͤhle zu Tage trat, als ein Bergmaͤnnchen, und von meinen Bohnen wegſchleppte in die grauliche Finſterniß hinein. Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte ge¬ maͤß verpflichtet ſei, mich zu kuͤſſen, wenn ich ihre Finger erwiſchen koͤnne, jedoch duͤrfe der Berg daruͤber nicht zuſammenfallen, und ich legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub ſie ſich noch verſchiedene Wege und begann mich auf die liſtigſte Weiſe zu necken; die Hand in der Tiefe des Bohnengebirges verſteckt, ſah ſie mich uͤber daſſelbe her mit ihren blauen Augen neckiſch an, indeſſen ſie hier eine Fingerſpitze hervorgucken ließ, dort die Bohnen bewegte, wie ein unſicht¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/126>, abgerufen am 23.11.2024.