grub und die Alte den ganzen Vorrath ihrer Sagen und Schwänke heraufbeschwor und uns Beide, die wir wach und munter blieben, wie Wieselchen, so lachen machte, daß uns die Thrä¬ nen über die Wangen liefen. Anna, welche mir gegenüber saß, baute ihren Hohlweg in die Boh¬ nen hinein mit vieler Kunst, eine Bohne nach der andern herausnehmend, und grub unvermerkt einen unterirdischen Stollen, so daß plötzlich ihr kleines Händchen in meiner Höhle zu Tage trat, als ein Bergmännchen, und von meinen Bohnen wegschleppte in die grauliche Finsterniß hinein. Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte ge¬ mäß verpflichtet sei, mich zu küssen, wenn ich ihre Finger erwischen könne, jedoch dürfe der Berg darüber nicht zusammenfallen, und ich legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub sie sich noch verschiedene Wege und begann mich auf die listigste Weise zu necken; die Hand in der Tiefe des Bohnengebirges versteckt, sah sie mich über dasselbe her mit ihren blauen Augen neckisch an, indessen sie hier eine Fingerspitze hervorgucken ließ, dort die Bohnen bewegte, wie ein unsicht¬
grub und die Alte den ganzen Vorrath ihrer Sagen und Schwaͤnke heraufbeſchwor und uns Beide, die wir wach und munter blieben, wie Wieſelchen, ſo lachen machte, daß uns die Thraͤ¬ nen uͤber die Wangen liefen. Anna, welche mir gegenuͤber ſaß, baute ihren Hohlweg in die Boh¬ nen hinein mit vieler Kunſt, eine Bohne nach der andern herausnehmend, und grub unvermerkt einen unterirdiſchen Stollen, ſo daß ploͤtzlich ihr kleines Haͤndchen in meiner Hoͤhle zu Tage trat, als ein Bergmaͤnnchen, und von meinen Bohnen wegſchleppte in die grauliche Finſterniß hinein. Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte ge¬ maͤß verpflichtet ſei, mich zu kuͤſſen, wenn ich ihre Finger erwiſchen koͤnne, jedoch duͤrfe der Berg daruͤber nicht zuſammenfallen, und ich legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub ſie ſich noch verſchiedene Wege und begann mich auf die liſtigſte Weiſe zu necken; die Hand in der Tiefe des Bohnengebirges verſteckt, ſah ſie mich uͤber daſſelbe her mit ihren blauen Augen neckiſch an, indeſſen ſie hier eine Fingerſpitze hervorgucken ließ, dort die Bohnen bewegte, wie ein unſicht¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0126"n="116"/>
grub und die Alte den ganzen Vorrath ihrer<lb/>
Sagen und Schwaͤnke heraufbeſchwor und uns<lb/>
Beide, die wir wach und munter blieben, wie<lb/>
Wieſelchen, ſo lachen machte, daß uns die Thraͤ¬<lb/>
nen uͤber die Wangen liefen. Anna, welche mir<lb/>
gegenuͤber ſaß, baute ihren Hohlweg in die Boh¬<lb/>
nen hinein mit vieler Kunſt, eine Bohne nach<lb/>
der andern herausnehmend, und grub unvermerkt<lb/>
einen unterirdiſchen Stollen, ſo daß ploͤtzlich ihr<lb/>
kleines Haͤndchen in meiner Hoͤhle zu Tage trat,<lb/>
als ein Bergmaͤnnchen, und von meinen Bohnen<lb/>
wegſchleppte in die grauliche Finſterniß hinein.<lb/>
Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte ge¬<lb/>
maͤß verpflichtet ſei, mich zu kuͤſſen, wenn ich<lb/>
ihre Finger erwiſchen koͤnne, jedoch duͤrfe der<lb/>
Berg daruͤber nicht zuſammenfallen, und ich<lb/>
legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub ſie<lb/>ſich noch verſchiedene Wege und begann mich auf<lb/>
die liſtigſte Weiſe zu necken; die Hand in der<lb/>
Tiefe des Bohnengebirges verſteckt, ſah ſie mich<lb/>
uͤber daſſelbe her mit ihren blauen Augen neckiſch<lb/>
an, indeſſen ſie hier eine Fingerſpitze hervorgucken<lb/>
ließ, dort die Bohnen bewegte, wie ein unſicht¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[116/0126]
grub und die Alte den ganzen Vorrath ihrer
Sagen und Schwaͤnke heraufbeſchwor und uns
Beide, die wir wach und munter blieben, wie
Wieſelchen, ſo lachen machte, daß uns die Thraͤ¬
nen uͤber die Wangen liefen. Anna, welche mir
gegenuͤber ſaß, baute ihren Hohlweg in die Boh¬
nen hinein mit vieler Kunſt, eine Bohne nach
der andern herausnehmend, und grub unvermerkt
einen unterirdiſchen Stollen, ſo daß ploͤtzlich ihr
kleines Haͤndchen in meiner Hoͤhle zu Tage trat,
als ein Bergmaͤnnchen, und von meinen Bohnen
wegſchleppte in die grauliche Finſterniß hinein.
Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte ge¬
maͤß verpflichtet ſei, mich zu kuͤſſen, wenn ich
ihre Finger erwiſchen koͤnne, jedoch duͤrfe der
Berg daruͤber nicht zuſammenfallen, und ich
legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub ſie
ſich noch verſchiedene Wege und begann mich auf
die liſtigſte Weiſe zu necken; die Hand in der
Tiefe des Bohnengebirges verſteckt, ſah ſie mich
uͤber daſſelbe her mit ihren blauen Augen neckiſch
an, indeſſen ſie hier eine Fingerſpitze hervorgucken
ließ, dort die Bohnen bewegte, wie ein unſicht¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/126>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.