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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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blumen und eine brennendrothe Mohnblüthe
lagen; der Nachtkühle wegen brachte die Muhme
einen prachtvollen weißen Staatsshawl aus alter
Zeit mit Astern und Rosen besäet, den man um
ihr blaues, halb ländliches Kleid schlug, daß sie
mit ihren Goldhaaren und dem feinen Gesichtchen
aussah, wie eine junge Engländerin aus den
neunziger Jahren. So wandte sie sich nun an¬
scheinend ganz ruhig zum Gehen, gewärtig, wer
sie begleiten würde, aber sich deswegen nicht un¬
entschlossen aufhaltend. Sie lächelte, durch den
Muthwillen der Basen belebt und gedeckt, über
meine Ungeschicklichkeit, ohne sich nach mir umzu¬
blicken, und vermehrte so meine Verlegenheit, da
ich gegenüber den zusammenhaltenden und ver¬
schworenen Mädchen allein dastand und fast Wil¬
lens war, im Saale zurückzubleiben. Doch er¬
barmte sich die älteste Base meiner und rief mich
noch einmal entschieden heran, so daß es mit
meiner Ehre verträglich war, mich wenigstens
dem Zuge anzuschließen, der sich vor das Haus
bewegte. Wir gingen gemeinschaftlich bis an das
Ende des Dorfes, wo der Berg anhub, über

blumen und eine brennendrothe Mohnbluͤthe
lagen; der Nachtkuͤhle wegen brachte die Muhme
einen prachtvollen weißen Staatsſhawl aus alter
Zeit mit Aſtern und Roſen beſaͤet, den man um
ihr blaues, halb laͤndliches Kleid ſchlug, daß ſie
mit ihren Goldhaaren und dem feinen Geſichtchen
ausſah, wie eine junge Englaͤnderin aus den
neunziger Jahren. So wandte ſie ſich nun an¬
ſcheinend ganz ruhig zum Gehen, gewaͤrtig, wer
ſie begleiten wuͤrde, aber ſich deswegen nicht un¬
entſchloſſen aufhaltend. Sie laͤchelte, durch den
Muthwillen der Baſen belebt und gedeckt, uͤber
meine Ungeſchicklichkeit, ohne ſich nach mir umzu¬
blicken, und vermehrte ſo meine Verlegenheit, da
ich gegenuͤber den zuſammenhaltenden und ver¬
ſchworenen Maͤdchen allein daſtand und faſt Wil¬
lens war, im Saale zuruͤckzubleiben. Doch er¬
barmte ſich die aͤlteſte Baſe meiner und rief mich
noch einmal entſchieden heran, ſo daß es mit
meiner Ehre vertraͤglich war, mich wenigſtens
dem Zuge anzuſchließen, der ſich vor das Haus
bewegte. Wir gingen gemeinſchaftlich bis an das
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[102/0112] blumen und eine brennendrothe Mohnbluͤthe lagen; der Nachtkuͤhle wegen brachte die Muhme einen prachtvollen weißen Staatsſhawl aus alter Zeit mit Aſtern und Roſen beſaͤet, den man um ihr blaues, halb laͤndliches Kleid ſchlug, daß ſie mit ihren Goldhaaren und dem feinen Geſichtchen ausſah, wie eine junge Englaͤnderin aus den neunziger Jahren. So wandte ſie ſich nun an¬ ſcheinend ganz ruhig zum Gehen, gewaͤrtig, wer ſie begleiten wuͤrde, aber ſich deswegen nicht un¬ entſchloſſen aufhaltend. Sie laͤchelte, durch den Muthwillen der Baſen belebt und gedeckt, uͤber meine Ungeſchicklichkeit, ohne ſich nach mir umzu¬ blicken, und vermehrte ſo meine Verlegenheit, da ich gegenuͤber den zuſammenhaltenden und ver¬ ſchworenen Maͤdchen allein daſtand und faſt Wil¬ lens war, im Saale zuruͤckzubleiben. Doch er¬ barmte ſich die aͤlteſte Baſe meiner und rief mich noch einmal entſchieden heran, ſo daß es mit meiner Ehre vertraͤglich war, mich wenigſtens dem Zuge anzuſchließen, der ſich vor das Haus bewegte. Wir gingen gemeinſchaftlich bis an das Ende des Dorfes, wo der Berg anhub, uͤber

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/112>, abgerufen am 23.11.2024.