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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Tanz zu thun, suchte ich ungehobelt und unter
tausend Ausflüchten auszuweichen. Dieses half
nichts, widerstrebend fügten wir uns endlich und
tanzten, einander nicht ansehend und uns kaum
berührend, etwas ungeschickt und beschämt einmal
durch den Saal. Ungeachtet es mir schien, als
ob ich einen jungen Engel an der Hand führte
und im Paradiese herumwalzte, trennten wir uns
doch nach der Tour so schleunig wie Feuer und
Wasser und waren in selbem Augenblicke an den
entgegengesetzten Enden des Saales zu sehen.
Ich, der ich kurz vorher unbefangen und muth¬
willig die Wangen der großen und schönen Judith
zwischen meine Hände gepreßt, hatte jetzt gezit¬
tert, die schmale, fast wesenlose Gestalt des Kin¬
des zu umfangen und dieselbe fahren lassen, wie
ein glühendes Eisen. Sie verbarg sich ihrerseits
wieder hinter die fröhlichen Mädchen und war
so wenig mehr in die Reihen zu bringen als ich,
hingegen bestrebte ich mich, meine Worte an die
Gesammtheit zu richten und so zu stellen, daß
sie von Anna auch hingenommen werden mu߬
ten, und bildete mir ein, sie meine es mit

Tanz zu thun, ſuchte ich ungehobelt und unter
tauſend Ausfluͤchten auszuweichen. Dieſes half
nichts, widerſtrebend fuͤgten wir uns endlich und
tanzten, einander nicht anſehend und uns kaum
beruͤhrend, etwas ungeſchickt und beſchaͤmt einmal
durch den Saal. Ungeachtet es mir ſchien, als
ob ich einen jungen Engel an der Hand fuͤhrte
und im Paradieſe herumwalzte, trennten wir uns
doch nach der Tour ſo ſchleunig wie Feuer und
Waſſer und waren in ſelbem Augenblicke an den
entgegengeſetzten Enden des Saales zu ſehen.
Ich, der ich kurz vorher unbefangen und muth¬
willig die Wangen der großen und ſchoͤnen Judith
zwiſchen meine Haͤnde gepreßt, hatte jetzt gezit¬
tert, die ſchmale, faſt weſenloſe Geſtalt des Kin¬
des zu umfangen und dieſelbe fahren laſſen, wie
ein gluͤhendes Eiſen. Sie verbarg ſich ihrerſeits
wieder hinter die froͤhlichen Maͤdchen und war
ſo wenig mehr in die Reihen zu bringen als ich,
hingegen beſtrebte ich mich, meine Worte an die
Geſammtheit zu richten und ſo zu ſtellen, daß
ſie von Anna auch hingenommen werden mu߬
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[100/0110] Tanz zu thun, ſuchte ich ungehobelt und unter tauſend Ausfluͤchten auszuweichen. Dieſes half nichts, widerſtrebend fuͤgten wir uns endlich und tanzten, einander nicht anſehend und uns kaum beruͤhrend, etwas ungeſchickt und beſchaͤmt einmal durch den Saal. Ungeachtet es mir ſchien, als ob ich einen jungen Engel an der Hand fuͤhrte und im Paradieſe herumwalzte, trennten wir uns doch nach der Tour ſo ſchleunig wie Feuer und Waſſer und waren in ſelbem Augenblicke an den entgegengeſetzten Enden des Saales zu ſehen. Ich, der ich kurz vorher unbefangen und muth¬ willig die Wangen der großen und ſchoͤnen Judith zwiſchen meine Haͤnde gepreßt, hatte jetzt gezit¬ tert, die ſchmale, faſt weſenloſe Geſtalt des Kin¬ des zu umfangen und dieſelbe fahren laſſen, wie ein gluͤhendes Eiſen. Sie verbarg ſich ihrerſeits wieder hinter die froͤhlichen Maͤdchen und war ſo wenig mehr in die Reihen zu bringen als ich, hingegen beſtrebte ich mich, meine Worte an die Geſammtheit zu richten und ſo zu ſtellen, daß ſie von Anna auch hingenommen werden mu߬ ten, und bildete mir ein, ſie meine es mit

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/110>, abgerufen am 23.11.2024.