meine Unentschlossenheit gar nicht peinlich und unerträglich, vielmehr gefiel ich mir in diesem gedanken- und erwartungsvollen Zustande und sah einem zweiten Begegnen eher mit Unruhe ent¬ gegen. Wenn meine Basen von ihr sprachen, that ich, als hörte ich es nicht, indessen ich doch nicht von der Stelle wich, so lange das Gespräch dauerte, und wenn sie mich fragten, ob es denn nicht ein allerliebstes Kind sei, erwiederte ich ganz trocken: "Ja, gewiß!"
In diesen Tagen fand ich kaum Zeit, bei meiner Großmutter den täglichen kurzen Aufent¬ halt zu nehmen und vernachlässigte die anderen Verwandten so ziemlich, wenn ich nicht gerade bestimmt eingeladen war zur Theilnahme an einem Ausnahmegericht oder sonstigem Schmause, wie solche durch den Wechsel der Feldfrüchte oder durch Schlachten und Backen hervorgerufen werden.
Auf diesen Wegen war ich häufig am Hause der schönen Judith vorübergekommen und, da ich eben deswegen, weil sie ein schönes Weib war, auch einige Befangenheit fühlte und Anstand nahm einzutreten, von ihr gebieterisch herein¬
meine Unentſchloſſenheit gar nicht peinlich und unertraͤglich, vielmehr gefiel ich mir in dieſem gedanken- und erwartungsvollen Zuſtande und ſah einem zweiten Begegnen eher mit Unruhe ent¬ gegen. Wenn meine Baſen von ihr ſprachen, that ich, als hoͤrte ich es nicht, indeſſen ich doch nicht von der Stelle wich, ſo lange das Geſpraͤch dauerte, und wenn ſie mich fragten, ob es denn nicht ein allerliebſtes Kind ſei, erwiederte ich ganz trocken: »Ja, gewiß!«
In dieſen Tagen fand ich kaum Zeit, bei meiner Großmutter den taͤglichen kurzen Aufent¬ halt zu nehmen und vernachlaͤſſigte die anderen Verwandten ſo ziemlich, wenn ich nicht gerade beſtimmt eingeladen war zur Theilnahme an einem Ausnahmegericht oder ſonſtigem Schmauſe, wie ſolche durch den Wechſel der Feldfruͤchte oder durch Schlachten und Backen hervorgerufen werden.
Auf dieſen Wegen war ich haͤufig am Hauſe der ſchoͤnen Judith voruͤbergekommen und, da ich eben deswegen, weil ſie ein ſchoͤnes Weib war, auch einige Befangenheit fuͤhlte und Anſtand nahm einzutreten, von ihr gebieteriſch herein¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0104"n="94"/>
meine Unentſchloſſenheit gar nicht peinlich und<lb/>
unertraͤglich, vielmehr gefiel ich mir in dieſem<lb/>
gedanken- und erwartungsvollen Zuſtande und ſah<lb/>
einem zweiten Begegnen eher mit Unruhe ent¬<lb/>
gegen. Wenn meine Baſen von ihr ſprachen,<lb/>
that ich, als hoͤrte ich es nicht, indeſſen ich doch<lb/>
nicht von der Stelle wich, ſo lange das Geſpraͤch<lb/>
dauerte, und wenn ſie mich fragten, ob es denn<lb/>
nicht ein allerliebſtes Kind ſei, erwiederte ich ganz<lb/>
trocken: »Ja, gewiß!«</p><lb/><p>In dieſen Tagen fand ich kaum Zeit, bei<lb/>
meiner Großmutter den taͤglichen kurzen Aufent¬<lb/>
halt zu nehmen und vernachlaͤſſigte die anderen<lb/>
Verwandten ſo ziemlich, wenn ich nicht gerade<lb/>
beſtimmt eingeladen war zur Theilnahme an<lb/>
einem Ausnahmegericht oder ſonſtigem Schmauſe,<lb/>
wie ſolche durch den Wechſel der Feldfruͤchte oder<lb/>
durch Schlachten und Backen hervorgerufen werden.</p><lb/><p>Auf dieſen Wegen war ich haͤufig am Hauſe<lb/>
der ſchoͤnen Judith voruͤbergekommen und, da ich<lb/>
eben deswegen, weil ſie ein ſchoͤnes Weib war,<lb/>
auch einige Befangenheit fuͤhlte und Anſtand<lb/>
nahm einzutreten, von ihr gebieteriſch herein¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[94/0104]
meine Unentſchloſſenheit gar nicht peinlich und
unertraͤglich, vielmehr gefiel ich mir in dieſem
gedanken- und erwartungsvollen Zuſtande und ſah
einem zweiten Begegnen eher mit Unruhe ent¬
gegen. Wenn meine Baſen von ihr ſprachen,
that ich, als hoͤrte ich es nicht, indeſſen ich doch
nicht von der Stelle wich, ſo lange das Geſpraͤch
dauerte, und wenn ſie mich fragten, ob es denn
nicht ein allerliebſtes Kind ſei, erwiederte ich ganz
trocken: »Ja, gewiß!«
In dieſen Tagen fand ich kaum Zeit, bei
meiner Großmutter den taͤglichen kurzen Aufent¬
halt zu nehmen und vernachlaͤſſigte die anderen
Verwandten ſo ziemlich, wenn ich nicht gerade
beſtimmt eingeladen war zur Theilnahme an
einem Ausnahmegericht oder ſonſtigem Schmauſe,
wie ſolche durch den Wechſel der Feldfruͤchte oder
durch Schlachten und Backen hervorgerufen werden.
Auf dieſen Wegen war ich haͤufig am Hauſe
der ſchoͤnen Judith voruͤbergekommen und, da ich
eben deswegen, weil ſie ein ſchoͤnes Weib war,
auch einige Befangenheit fuͤhlte und Anſtand
nahm einzutreten, von ihr gebieteriſch herein¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/104>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.