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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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meine Unentschlossenheit gar nicht peinlich und
unerträglich, vielmehr gefiel ich mir in diesem
gedanken- und erwartungsvollen Zustande und sah
einem zweiten Begegnen eher mit Unruhe ent¬
gegen. Wenn meine Basen von ihr sprachen,
that ich, als hörte ich es nicht, indessen ich doch
nicht von der Stelle wich, so lange das Gespräch
dauerte, und wenn sie mich fragten, ob es denn
nicht ein allerliebstes Kind sei, erwiederte ich ganz
trocken: "Ja, gewiß!"

In diesen Tagen fand ich kaum Zeit, bei
meiner Großmutter den täglichen kurzen Aufent¬
halt zu nehmen und vernachlässigte die anderen
Verwandten so ziemlich, wenn ich nicht gerade
bestimmt eingeladen war zur Theilnahme an
einem Ausnahmegericht oder sonstigem Schmause,
wie solche durch den Wechsel der Feldfrüchte oder
durch Schlachten und Backen hervorgerufen werden.

Auf diesen Wegen war ich häufig am Hause
der schönen Judith vorübergekommen und, da ich
eben deswegen, weil sie ein schönes Weib war,
auch einige Befangenheit fühlte und Anstand
nahm einzutreten, von ihr gebieterisch herein¬

meine Unentſchloſſenheit gar nicht peinlich und
unertraͤglich, vielmehr gefiel ich mir in dieſem
gedanken- und erwartungsvollen Zuſtande und ſah
einem zweiten Begegnen eher mit Unruhe ent¬
gegen. Wenn meine Baſen von ihr ſprachen,
that ich, als hoͤrte ich es nicht, indeſſen ich doch
nicht von der Stelle wich, ſo lange das Geſpraͤch
dauerte, und wenn ſie mich fragten, ob es denn
nicht ein allerliebſtes Kind ſei, erwiederte ich ganz
trocken: »Ja, gewiß!«

In dieſen Tagen fand ich kaum Zeit, bei
meiner Großmutter den taͤglichen kurzen Aufent¬
halt zu nehmen und vernachlaͤſſigte die anderen
Verwandten ſo ziemlich, wenn ich nicht gerade
beſtimmt eingeladen war zur Theilnahme an
einem Ausnahmegericht oder ſonſtigem Schmauſe,
wie ſolche durch den Wechſel der Feldfruͤchte oder
durch Schlachten und Backen hervorgerufen werden.

Auf dieſen Wegen war ich haͤufig am Hauſe
der ſchoͤnen Judith voruͤbergekommen und, da ich
eben deswegen, weil ſie ein ſchoͤnes Weib war,
auch einige Befangenheit fuͤhlte und Anſtand
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[94/0104] meine Unentſchloſſenheit gar nicht peinlich und unertraͤglich, vielmehr gefiel ich mir in dieſem gedanken- und erwartungsvollen Zuſtande und ſah einem zweiten Begegnen eher mit Unruhe ent¬ gegen. Wenn meine Baſen von ihr ſprachen, that ich, als hoͤrte ich es nicht, indeſſen ich doch nicht von der Stelle wich, ſo lange das Geſpraͤch dauerte, und wenn ſie mich fragten, ob es denn nicht ein allerliebſtes Kind ſei, erwiederte ich ganz trocken: »Ja, gewiß!« In dieſen Tagen fand ich kaum Zeit, bei meiner Großmutter den taͤglichen kurzen Aufent¬ halt zu nehmen und vernachlaͤſſigte die anderen Verwandten ſo ziemlich, wenn ich nicht gerade beſtimmt eingeladen war zur Theilnahme an einem Ausnahmegericht oder ſonſtigem Schmauſe, wie ſolche durch den Wechſel der Feldfruͤchte oder durch Schlachten und Backen hervorgerufen werden. Auf dieſen Wegen war ich haͤufig am Hauſe der ſchoͤnen Judith voruͤbergekommen und, da ich eben deswegen, weil ſie ein ſchoͤnes Weib war, auch einige Befangenheit fuͤhlte und Anſtand nahm einzutreten, von ihr gebieteriſch herein¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/104>, abgerufen am 23.11.2024.