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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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eher darauf bestehen, daß die Schweizer folge¬
rechter Weise auch einer eben so eigenthümlichen,
aus ihren Verhältnissen erwachsenden Geistescul¬
tur bedürfen sollten!"

"Das ist eben die andere Seite! Es gibt zwar
Viele meiner Landsleute, welche an eine schwei¬
zerische Kunst und Literatur, ja sogar an eine
schweizerische Wissenschaft glauben. Das Alpen¬
glühen und die Alpenrosenpoesie sind aber bald
erschöpft, einige gute Schlachten bald besungen,
und zu unserer Beschämung müssen wir alle
Trinksprüche, Mottos und Inschriften bei öffent¬
lichen Festen aus Schillers Tell nehmen, welcher
immer noch das Beste für dieses Bedürfniß lie¬
fert. Und was die Wissenschaft betrifft, so be¬
darf diese gewiß noch weit mehr des großen Welt¬
marktes und zunächst der in Sprache und Geist
verwandten größeren Völker, um kein verlorener
Posten zu sein. Der französische Schweizer
schwört zu Corneille, Racine und Moliere, zu
Voltaire oder Guizot, je nach seiner Partei, der
Tessiner glaubt nur an italienische Musik und
Gelehrsamkeit und der deutsche Schweizer lacht

eher darauf beſtehen, daß die Schweizer folge¬
rechter Weiſe auch einer eben ſo eigenthuͤmlichen,
aus ihren Verhaͤltniſſen erwachſenden Geiſtescul¬
tur beduͤrfen ſollten!«

»Das iſt eben die andere Seite! Es gibt zwar
Viele meiner Landsleute, welche an eine ſchwei¬
zeriſche Kunſt und Literatur, ja ſogar an eine
ſchweizeriſche Wiſſenſchaft glauben. Das Alpen¬
gluͤhen und die Alpenroſenpoeſie ſind aber bald
erſchoͤpft, einige gute Schlachten bald beſungen,
und zu unſerer Beſchaͤmung muͤſſen wir alle
Trinkſpruͤche, Mottos und Inſchriften bei oͤffent¬
lichen Feſten aus Schillers Tell nehmen, welcher
immer noch das Beſte fuͤr dieſes Beduͤrfniß lie¬
fert. Und was die Wiſſenſchaft betrifft, ſo be¬
darf dieſe gewiß noch weit mehr des großen Welt¬
marktes und zunaͤchſt der in Sprache und Geiſt
verwandten groͤßeren Voͤlker, um kein verlorener
Poſten zu ſein. Der franzoͤſiſche Schweizer
ſchwoͤrt zu Corneille, Racine und Molière, zu
Voltaire oder Guizot, je nach ſeiner Partei, der
Teſſiner glaubt nur an italieniſche Muſik und
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[78/0092] eher darauf beſtehen, daß die Schweizer folge¬ rechter Weiſe auch einer eben ſo eigenthuͤmlichen, aus ihren Verhaͤltniſſen erwachſenden Geiſtescul¬ tur beduͤrfen ſollten!« »Das iſt eben die andere Seite! Es gibt zwar Viele meiner Landsleute, welche an eine ſchwei¬ zeriſche Kunſt und Literatur, ja ſogar an eine ſchweizeriſche Wiſſenſchaft glauben. Das Alpen¬ gluͤhen und die Alpenroſenpoeſie ſind aber bald erſchoͤpft, einige gute Schlachten bald beſungen, und zu unſerer Beſchaͤmung muͤſſen wir alle Trinkſpruͤche, Mottos und Inſchriften bei oͤffent¬ lichen Feſten aus Schillers Tell nehmen, welcher immer noch das Beſte fuͤr dieſes Beduͤrfniß lie¬ fert. Und was die Wiſſenſchaft betrifft, ſo be¬ darf dieſe gewiß noch weit mehr des großen Welt¬ marktes und zunaͤchſt der in Sprache und Geiſt verwandten groͤßeren Voͤlker, um kein verlorener Poſten zu ſein. Der franzoͤſiſche Schweizer ſchwoͤrt zu Corneille, Racine und Molière, zu Voltaire oder Guizot, je nach ſeiner Partei, der Teſſiner glaubt nur an italieniſche Muſik und Gelehrſamkeit und der deutſche Schweizer lacht

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/92>, abgerufen am 24.11.2024.