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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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brutale car tel est notre plaisir entgegenzuschreien
braucht, welches der bornirte Royalist hervorkehrt,
wenn er über seine Anhänglichkeit an eine Dy¬
nastie, von der er in seinem Leben noch keinen
kleinen Finger gesehen hat, keine Rechenschaft
weiter geben kann. Ich für mich aber kann mir
bereits vorstellen, wie es Einem ist, der in der
Türkei reist, dem Drehtanze eines Derwisches
zusehen und sich wohl hüten muß, den Mund zu
verziehen."

"Auf dieses wenig schmeichelhafte Gleichniß,"
sagte der Graf lächelnd, "kann ich Ihnen ent¬
gegnen, daß ein Royalist vielleicht in ähnlicher
Lage ist auf einer Reise durch die Schweiz und
daß demselben die dortigen Zustände sehr barba¬
risch, zufällig und roh vorkommen dürften!"

"Dagegen," erwiederte Heinrich ebenfalls la¬
chend, "könnte ich nur das alte Sprüchwort hal¬
ten, welches am Ende der besprochenen Toleranz
meiner gemeinen Landsleute zu Grunde liegt:
über den Geschmack ist nicht zu streiten!"

"Da haben Sie ganz Recht," sagte Heinrichs
Begleiter und gab ihm die Hand, "auch bin ich

brutale car tel est notre plaisir entgegenzuſchreien
braucht, welches der bornirte Royaliſt hervorkehrt,
wenn er uͤber ſeine Anhaͤnglichkeit an eine Dy¬
naſtie, von der er in ſeinem Leben noch keinen
kleinen Finger geſehen hat, keine Rechenſchaft
weiter geben kann. Ich fuͤr mich aber kann mir
bereits vorſtellen, wie es Einem iſt, der in der
Tuͤrkei reiſt, dem Drehtanze eines Derwiſches
zuſehen und ſich wohl huͤten muß, den Mund zu
verziehen.«

»Auf dieſes wenig ſchmeichelhafte Gleichniß,«
ſagte der Graf laͤchelnd, »kann ich Ihnen ent¬
gegnen, daß ein Royaliſt vielleicht in aͤhnlicher
Lage iſt auf einer Reiſe durch die Schweiz und
daß demſelben die dortigen Zuſtaͤnde ſehr barba¬
riſch, zufaͤllig und roh vorkommen duͤrften!«

»Dagegen,« erwiederte Heinrich ebenfalls la¬
chend, »koͤnnte ich nur das alte Spruͤchwort hal¬
ten, welches am Ende der beſprochenen Toleranz
meiner gemeinen Landsleute zu Grunde liegt:
uͤber den Geſchmack iſt nicht zu ſtreiten!«

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[74/0088] brutale car tel est notre plaisir entgegenzuſchreien braucht, welches der bornirte Royaliſt hervorkehrt, wenn er uͤber ſeine Anhaͤnglichkeit an eine Dy¬ naſtie, von der er in ſeinem Leben noch keinen kleinen Finger geſehen hat, keine Rechenſchaft weiter geben kann. Ich fuͤr mich aber kann mir bereits vorſtellen, wie es Einem iſt, der in der Tuͤrkei reiſt, dem Drehtanze eines Derwiſches zuſehen und ſich wohl huͤten muß, den Mund zu verziehen.« »Auf dieſes wenig ſchmeichelhafte Gleichniß,« ſagte der Graf laͤchelnd, »kann ich Ihnen ent¬ gegnen, daß ein Royaliſt vielleicht in aͤhnlicher Lage iſt auf einer Reiſe durch die Schweiz und daß demſelben die dortigen Zuſtaͤnde ſehr barba¬ riſch, zufaͤllig und roh vorkommen duͤrften!« »Dagegen,« erwiederte Heinrich ebenfalls la¬ chend, »koͤnnte ich nur das alte Spruͤchwort hal¬ ten, welches am Ende der beſprochenen Toleranz meiner gemeinen Landsleute zu Grunde liegt: uͤber den Geſchmack iſt nicht zu ſtreiten!« »Da haben Sie ganz Recht,« ſagte Heinrichs Begleiter und gab ihm die Hand, »auch bin ich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/88>, abgerufen am 22.11.2024.