schien, daß er sie ebenfalls betrachtete. Nachdem sie den rothgewordenen Heinrich eine Weile an¬ gesehen hatte, wandte sie ihre Augen wieder von ihm, wie wenn sie nur auf einem Krug oder einem Stuhl geruht hätten, ohne irgend einen jener feinen Uebergänge, welche artigen und rück¬ sichtsvollen Leuten in solchen Fällen schnell zu Gebote stehen. Diese Augengrobheit bewirkte, daß er von nun an nicht mehr aufsah und sich bestrebte, so bald als möglich vom Tische zu kommen. In diesem Bestreben schien ihn ein allerliebstes Bologneserhündchen unterstützen zu wollen, welches, auf dem Tische umher laufend, plötzlich vor seinem Teller ein Männchen machte. "Ach, sieh den kleinen Schelm!" rief die Dame mit kindlicher Freude; Heinrich hielt dem Thiere unwillkürlich ein Stückchen Kuchen hin, da rief sie dasselbe sogleich zurück, und als es nicht kam, ergriff sie es unwillig beim Pelze und setzte es vor sich hin. "Willst du wohl da bleiben, du Landstreicher?" sagte sie, als der Graf hinzutrat und bemerkte: "Aber, Emilie, thu' doch den Hund vom Tisch, wir sind ja nicht allein!" Emilie
ſchien, daß er ſie ebenfalls betrachtete. Nachdem ſie den rothgewordenen Heinrich eine Weile an¬ geſehen hatte, wandte ſie ihre Augen wieder von ihm, wie wenn ſie nur auf einem Krug oder einem Stuhl geruht haͤtten, ohne irgend einen jener feinen Uebergaͤnge, welche artigen und ruͤck¬ ſichtsvollen Leuten in ſolchen Faͤllen ſchnell zu Gebote ſtehen. Dieſe Augengrobheit bewirkte, daß er von nun an nicht mehr aufſah und ſich beſtrebte, ſo bald als moͤglich vom Tiſche zu kommen. In dieſem Beſtreben ſchien ihn ein allerliebſtes Bologneſerhuͤndchen unterſtuͤtzen zu wollen, welches, auf dem Tiſche umher laufend, ploͤtzlich vor ſeinem Teller ein Maͤnnchen machte. »Ach, ſieh den kleinen Schelm!« rief die Dame mit kindlicher Freude; Heinrich hielt dem Thiere unwillkuͤrlich ein Stuͤckchen Kuchen hin, da rief ſie daſſelbe ſogleich zuruͤck, und als es nicht kam, ergriff ſie es unwillig beim Pelze und ſetzte es vor ſich hin. »Willſt du wohl da bleiben, du Landſtreicher?« ſagte ſie, als der Graf hinzutrat und bemerkte: »Aber, Emilie, thu' doch den Hund vom Tiſch, wir ſind ja nicht allein!« Emilie
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ſchien, daß er ſie ebenfalls betrachtete. Nachdem
ſie den rothgewordenen Heinrich eine Weile an¬
geſehen hatte, wandte ſie ihre Augen wieder von
ihm, wie wenn ſie nur auf einem Krug oder
einem Stuhl geruht haͤtten, ohne irgend einen
jener feinen Uebergaͤnge, welche artigen und ruͤck¬
ſichtsvollen Leuten in ſolchen Faͤllen ſchnell zu
Gebote ſtehen. Dieſe Augengrobheit bewirkte,
daß er von nun an nicht mehr aufſah und ſich
beſtrebte, ſo bald als moͤglich vom Tiſche zu
kommen. In dieſem Beſtreben ſchien ihn ein
allerliebſtes Bologneſerhuͤndchen unterſtuͤtzen zu
wollen, welches, auf dem Tiſche umher laufend,
ploͤtzlich vor ſeinem Teller ein Maͤnnchen machte.
»Ach, ſieh den kleinen Schelm!« rief die Dame
mit kindlicher Freude; Heinrich hielt dem Thiere
unwillkuͤrlich ein Stuͤckchen Kuchen hin, da rief
ſie daſſelbe ſogleich zuruͤck, und als es nicht kam,
ergriff ſie es unwillig beim Pelze und ſetzte es
vor ſich hin. »Willſt du wohl da bleiben, du
Landſtreicher?« ſagte ſie, als der Graf hinzutrat
und bemerkte: »Aber, Emilie, thu' doch den Hund
vom Tiſch, wir ſind ja nicht allein!« Emilie
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/75>, abgerufen am 24.11.2024.
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