und irgend einem recht zerrissenen verkrüppelten Birnbaum nachlief. Das glänzende ungebrochene Grün einer Wiese, eines Buchenwaldes im Früh¬ ling erquickte seinen Blick, indessen Jener den "giftigen Ton" beklagte und ein Stück faulen Sumpf bewunderte. In dieser Weise, die Natur zu ergreifen, war er über das malerische Ver¬ ständniß hinaus zum allgemeinen Dichterischen zurück gelangt, welches vom Anfang an in jedem Menschen liegt, und dieses zeigte ihm auch noch etwas Schönes, wo der Maler darbte.
Deswegen ließ Heinrich auch jetzt seine Augen schweifen, links und rechts vom Wege, und guter Laune wurde in einem ansehnlichen Dorfe Halt gemacht. Der arme fahrende Schüler sah sich an den runden Sondertisch des Gasthauses ver¬ setzt und begann eben, still auf seinen Teller schauend, an die heimathliche Mittagstafel zu denken, als ein herrschaftlicher Wagen mit Wap¬ pen und Bedienten heranfuhr und seine Inhaber unter großem Geräusch der Wirthsleute in die Stube traten. Es waren eine schöne Dame von etwa dreißig, ein noch schöneres Mädchen von
und irgend einem recht zerriſſenen verkruͤppelten Birnbaum nachlief. Das glaͤnzende ungebrochene Gruͤn einer Wieſe, eines Buchenwaldes im Fruͤh¬ ling erquickte ſeinen Blick, indeſſen Jener den »giftigen Ton« beklagte und ein Stuͤck faulen Sumpf bewunderte. In dieſer Weiſe, die Natur zu ergreifen, war er uͤber das maleriſche Ver¬ ſtaͤndniß hinaus zum allgemeinen Dichteriſchen zuruͤck gelangt, welches vom Anfang an in jedem Menſchen liegt, und dieſes zeigte ihm auch noch etwas Schoͤnes, wo der Maler darbte.
Deswegen ließ Heinrich auch jetzt ſeine Augen ſchweifen, links und rechts vom Wege, und guter Laune wurde in einem anſehnlichen Dorfe Halt gemacht. Der arme fahrende Schuͤler ſah ſich an den runden Sondertiſch des Gaſthauſes ver¬ ſetzt und begann eben, ſtill auf ſeinen Teller ſchauend, an die heimathliche Mittagstafel zu denken, als ein herrſchaftlicher Wagen mit Wap¬ pen und Bedienten heranfuhr und ſeine Inhaber unter großem Geraͤuſch der Wirthsleute in die Stube traten. Es waren eine ſchoͤne Dame von etwa dreißig, ein noch ſchoͤneres Maͤdchen von
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0073"n="59"/>
und irgend einem recht zerriſſenen verkruͤppelten<lb/>
Birnbaum nachlief. Das glaͤnzende ungebrochene<lb/>
Gruͤn einer Wieſe, eines Buchenwaldes im Fruͤh¬<lb/>
ling erquickte ſeinen Blick, indeſſen Jener den<lb/>
»giftigen Ton« beklagte und ein Stuͤck faulen<lb/>
Sumpf bewunderte. In dieſer Weiſe, die Natur<lb/>
zu ergreifen, war er uͤber das maleriſche Ver¬<lb/>ſtaͤndniß hinaus zum allgemeinen Dichteriſchen<lb/>
zuruͤck gelangt, welches vom Anfang an in jedem<lb/>
Menſchen liegt, und dieſes zeigte ihm auch noch<lb/>
etwas Schoͤnes, wo der Maler darbte.</p><lb/><p>Deswegen ließ Heinrich auch jetzt ſeine Augen<lb/>ſchweifen, links und rechts vom Wege, und guter<lb/>
Laune wurde in einem anſehnlichen Dorfe Halt<lb/>
gemacht. Der arme fahrende Schuͤler ſah ſich<lb/>
an den runden Sondertiſch des Gaſthauſes ver¬<lb/>ſetzt und begann eben, ſtill auf ſeinen Teller<lb/>ſchauend, an die heimathliche Mittagstafel zu<lb/>
denken, als ein herrſchaftlicher Wagen mit Wap¬<lb/>
pen und Bedienten heranfuhr und ſeine Inhaber<lb/>
unter großem Geraͤuſch der Wirthsleute in die<lb/>
Stube traten. Es waren eine ſchoͤne Dame von<lb/>
etwa dreißig, ein noch ſchoͤneres Maͤdchen von<lb/></p></div></body></text></TEI>
[59/0073]
und irgend einem recht zerriſſenen verkruͤppelten
Birnbaum nachlief. Das glaͤnzende ungebrochene
Gruͤn einer Wieſe, eines Buchenwaldes im Fruͤh¬
ling erquickte ſeinen Blick, indeſſen Jener den
»giftigen Ton« beklagte und ein Stuͤck faulen
Sumpf bewunderte. In dieſer Weiſe, die Natur
zu ergreifen, war er uͤber das maleriſche Ver¬
ſtaͤndniß hinaus zum allgemeinen Dichteriſchen
zuruͤck gelangt, welches vom Anfang an in jedem
Menſchen liegt, und dieſes zeigte ihm auch noch
etwas Schoͤnes, wo der Maler darbte.
Deswegen ließ Heinrich auch jetzt ſeine Augen
ſchweifen, links und rechts vom Wege, und guter
Laune wurde in einem anſehnlichen Dorfe Halt
gemacht. Der arme fahrende Schuͤler ſah ſich
an den runden Sondertiſch des Gaſthauſes ver¬
ſetzt und begann eben, ſtill auf ſeinen Teller
ſchauend, an die heimathliche Mittagstafel zu
denken, als ein herrſchaftlicher Wagen mit Wap¬
pen und Bedienten heranfuhr und ſeine Inhaber
unter großem Geraͤuſch der Wirthsleute in die
Stube traten. Es waren eine ſchoͤne Dame von
etwa dreißig, ein noch ſchoͤneres Maͤdchen von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/73>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.