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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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und irgend einem recht zerrissenen verkrüppelten
Birnbaum nachlief. Das glänzende ungebrochene
Grün einer Wiese, eines Buchenwaldes im Früh¬
ling erquickte seinen Blick, indessen Jener den
"giftigen Ton" beklagte und ein Stück faulen
Sumpf bewunderte. In dieser Weise, die Natur
zu ergreifen, war er über das malerische Ver¬
ständniß hinaus zum allgemeinen Dichterischen
zurück gelangt, welches vom Anfang an in jedem
Menschen liegt, und dieses zeigte ihm auch noch
etwas Schönes, wo der Maler darbte.

Deswegen ließ Heinrich auch jetzt seine Augen
schweifen, links und rechts vom Wege, und guter
Laune wurde in einem ansehnlichen Dorfe Halt
gemacht. Der arme fahrende Schüler sah sich
an den runden Sondertisch des Gasthauses ver¬
setzt und begann eben, still auf seinen Teller
schauend, an die heimathliche Mittagstafel zu
denken, als ein herrschaftlicher Wagen mit Wap¬
pen und Bedienten heranfuhr und seine Inhaber
unter großem Geräusch der Wirthsleute in die
Stube traten. Es waren eine schöne Dame von
etwa dreißig, ein noch schöneres Mädchen von

und irgend einem recht zerriſſenen verkruͤppelten
Birnbaum nachlief. Das glaͤnzende ungebrochene
Gruͤn einer Wieſe, eines Buchenwaldes im Fruͤh¬
ling erquickte ſeinen Blick, indeſſen Jener den
»giftigen Ton« beklagte und ein Stuͤck faulen
Sumpf bewunderte. In dieſer Weiſe, die Natur
zu ergreifen, war er uͤber das maleriſche Ver¬
ſtaͤndniß hinaus zum allgemeinen Dichteriſchen
zuruͤck gelangt, welches vom Anfang an in jedem
Menſchen liegt, und dieſes zeigte ihm auch noch
etwas Schoͤnes, wo der Maler darbte.

Deswegen ließ Heinrich auch jetzt ſeine Augen
ſchweifen, links und rechts vom Wege, und guter
Laune wurde in einem anſehnlichen Dorfe Halt
gemacht. Der arme fahrende Schuͤler ſah ſich
an den runden Sondertiſch des Gaſthauſes ver¬
ſetzt und begann eben, ſtill auf ſeinen Teller
ſchauend, an die heimathliche Mittagstafel zu
denken, als ein herrſchaftlicher Wagen mit Wap¬
pen und Bedienten heranfuhr und ſeine Inhaber
unter großem Geraͤuſch der Wirthsleute in die
Stube traten. Es waren eine ſchoͤne Dame von
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[59/0073] und irgend einem recht zerriſſenen verkruͤppelten Birnbaum nachlief. Das glaͤnzende ungebrochene Gruͤn einer Wieſe, eines Buchenwaldes im Fruͤh¬ ling erquickte ſeinen Blick, indeſſen Jener den »giftigen Ton« beklagte und ein Stuͤck faulen Sumpf bewunderte. In dieſer Weiſe, die Natur zu ergreifen, war er uͤber das maleriſche Ver¬ ſtaͤndniß hinaus zum allgemeinen Dichteriſchen zuruͤck gelangt, welches vom Anfang an in jedem Menſchen liegt, und dieſes zeigte ihm auch noch etwas Schoͤnes, wo der Maler darbte. Deswegen ließ Heinrich auch jetzt ſeine Augen ſchweifen, links und rechts vom Wege, und guter Laune wurde in einem anſehnlichen Dorfe Halt gemacht. Der arme fahrende Schuͤler ſah ſich an den runden Sondertiſch des Gaſthauſes ver¬ ſetzt und begann eben, ſtill auf ſeinen Teller ſchauend, an die heimathliche Mittagstafel zu denken, als ein herrſchaftlicher Wagen mit Wap¬ pen und Bedienten heranfuhr und ſeine Inhaber unter großem Geraͤuſch der Wirthsleute in die Stube traten. Es waren eine ſchoͤne Dame von etwa dreißig, ein noch ſchoͤneres Maͤdchen von

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/73>, abgerufen am 24.11.2024.