Neugierig schaute Heinrich, näher hinzufahrend, in die dämmernde Waldnacht hinein, welche nur spärlich vom Mondlicht durchschienen ward, und als ein Reh aus dem Busche an das Ufer trat, ein in der Schweiz schon seltenes Thier, da be¬ grüßte er es freudigen Muthes als einen freund¬ lichen Vorboten. Es war übrigens gut, daß er keine solidere und gefährlichere Schmuggelware in seinem leichten Fahrzeuge führte, als solche Hoffnungen; denn ein Wächter des deutschen Zollvereins war dem Schifflein schon geraume Zeit mit gespanntem Hahn nachgeschlichen, um zu spähen, wo es etwa landen möchte. Sein Rohr blinkte hin und wieder matt vom Scheine der mondbeglänzten Wellen.
Der Ostermontag sah den jungen Pilger schon früh den Rhein hinauf und Hussens Brand¬ stätte vorbei über den weithin leuchtenden Boden¬ see fahren. Das schöne Gewässer, welches vom Mai bis zum Weinmonat der paradiesischen Landschaft zur Folie dient, machte jetzt noch sei¬ nen Reiz und seine Klarheit für sich selbst geltend, und das mehr und mehr im blauen Dufte ver¬
Neugierig ſchaute Heinrich, naͤher hinzufahrend, in die daͤmmernde Waldnacht hinein, welche nur ſpaͤrlich vom Mondlicht durchſchienen ward, und als ein Reh aus dem Buſche an das Ufer trat, ein in der Schweiz ſchon ſeltenes Thier, da be¬ gruͤßte er es freudigen Muthes als einen freund¬ lichen Vorboten. Es war uͤbrigens gut, daß er keine ſolidere und gefaͤhrlichere Schmuggelware in ſeinem leichten Fahrzeuge fuͤhrte, als ſolche Hoffnungen; denn ein Waͤchter des deutſchen Zollvereins war dem Schifflein ſchon geraume Zeit mit geſpanntem Hahn nachgeſchlichen, um zu ſpaͤhen, wo es etwa landen moͤchte. Sein Rohr blinkte hin und wieder matt vom Scheine der mondbeglaͤnzten Wellen.
Der Oſtermontag ſah den jungen Pilger ſchon fruͤh den Rhein hinauf und Huſſens Brand¬ ſtaͤtte vorbei uͤber den weithin leuchtenden Boden¬ ſee fahren. Das ſchoͤne Gewaͤſſer, welches vom Mai bis zum Weinmonat der paradieſiſchen Landſchaft zur Folie dient, machte jetzt noch ſei¬ nen Reiz und ſeine Klarheit fuͤr ſich ſelbſt geltend, und das mehr und mehr im blauen Dufte ver¬
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Neugierig ſchaute Heinrich, naͤher hinzufahrend,
in die daͤmmernde Waldnacht hinein, welche nur
ſpaͤrlich vom Mondlicht durchſchienen ward, und
als ein Reh aus dem Buſche an das Ufer trat,
ein in der Schweiz ſchon ſeltenes Thier, da be¬
gruͤßte er es freudigen Muthes als einen freund¬
lichen Vorboten. Es war uͤbrigens gut, daß er
keine ſolidere und gefaͤhrlichere Schmuggelware
in ſeinem leichten Fahrzeuge fuͤhrte, als ſolche
Hoffnungen; denn ein Waͤchter des deutſchen
Zollvereins war dem Schifflein ſchon geraume
Zeit mit geſpanntem Hahn nachgeſchlichen, um zu
ſpaͤhen, wo es etwa landen moͤchte. Sein Rohr
blinkte hin und wieder matt vom Scheine der
mondbeglaͤnzten Wellen.
Der Oſtermontag ſah den jungen Pilger
ſchon fruͤh den Rhein hinauf und Huſſens Brand¬
ſtaͤtte vorbei uͤber den weithin leuchtenden Boden¬
ſee fahren. Das ſchoͤne Gewaͤſſer, welches vom
Mai bis zum Weinmonat der paradieſiſchen
Landſchaft zur Folie dient, machte jetzt noch ſei¬
nen Reiz und ſeine Klarheit fuͤr ſich ſelbſt geltend,
und das mehr und mehr im blauen Dufte ver¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/70>, abgerufen am 24.11.2024.
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