schweizerischen. Es war finster und still, eine einsame Zollstätte ruhte unter Bäumen, ein mat¬ tes Licht brannte darin. Aber schimmernd um¬ faßte die Rheinfluth den steinigen Strand, und ihre Wellen zogen gleichmäßig kräftig dahin, hell¬ glänzend und spiegelnd in der Nähe, in der Ferne in einem mildern Scheine verschwimmend. Und über diese Wellen war fast Alles gekommen, was Heinrich in seinen Bergen Herz und Jugend be¬ wegt hatte. Hinter jenen Wäldern wurde seine Sprache rein und so gesprochen, wie er sie aus seinen liebsten Büchern kannte, so glaubte er we¬ nigstens, und er freute sich darauf, sie nun ohne Ziererei auch mit sprechen zu dürfen. Hinter diesen stillen schwarzen Uferhöhen lagen alle die deutschen Gauen mit ihren schönen Namen, wo die vielen Dichter geboren sind, von denen jeder seinen eigenen mächtigen Gesang hat, der sonst keinem gleicht und die in ihrer Gesammtheit den Reichthum und die Tiefe einer Welt, nicht eines einzelnen Volkes auszusprechen scheinen. Er liebte sein helvetisches Vaterland; aber über diesen Strom waren dessen heiligste Sagen in
ſchweizeriſchen. Es war finſter und ſtill, eine einſame Zollſtaͤtte ruhte unter Baͤumen, ein mat¬ tes Licht brannte darin. Aber ſchimmernd um¬ faßte die Rheinfluth den ſteinigen Strand, und ihre Wellen zogen gleichmaͤßig kraͤftig dahin, hell¬ glaͤnzend und ſpiegelnd in der Naͤhe, in der Ferne in einem mildern Scheine verſchwimmend. Und uͤber dieſe Wellen war faſt Alles gekommen, was Heinrich in ſeinen Bergen Herz und Jugend be¬ wegt hatte. Hinter jenen Waͤldern wurde ſeine Sprache rein und ſo geſprochen, wie er ſie aus ſeinen liebſten Buͤchern kannte, ſo glaubte er we¬ nigſtens, und er freute ſich darauf, ſie nun ohne Ziererei auch mit ſprechen zu duͤrfen. Hinter dieſen ſtillen ſchwarzen Uferhoͤhen lagen alle die deutſchen Gauen mit ihren ſchoͤnen Namen, wo die vielen Dichter geboren ſind, von denen jeder ſeinen eigenen maͤchtigen Geſang hat, der ſonſt keinem gleicht und die in ihrer Geſammtheit den Reichthum und die Tiefe einer Welt, nicht eines einzelnen Volkes auszuſprechen ſcheinen. Er liebte ſein helvetiſches Vaterland; aber uͤber dieſen Strom waren deſſen heiligſte Sagen in
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ſchweizeriſchen. Es war finſter und ſtill, eine
einſame Zollſtaͤtte ruhte unter Baͤumen, ein mat¬
tes Licht brannte darin. Aber ſchimmernd um¬
faßte die Rheinfluth den ſteinigen Strand, und
ihre Wellen zogen gleichmaͤßig kraͤftig dahin, hell¬
glaͤnzend und ſpiegelnd in der Naͤhe, in der Ferne
in einem mildern Scheine verſchwimmend. Und
uͤber dieſe Wellen war faſt Alles gekommen, was
Heinrich in ſeinen Bergen Herz und Jugend be¬
wegt hatte. Hinter jenen Waͤldern wurde ſeine
Sprache rein und ſo geſprochen, wie er ſie aus
ſeinen liebſten Buͤchern kannte, ſo glaubte er we¬
nigſtens, und er freute ſich darauf, ſie nun ohne
Ziererei auch mit ſprechen zu duͤrfen. Hinter
dieſen ſtillen ſchwarzen Uferhoͤhen lagen alle die
deutſchen Gauen mit ihren ſchoͤnen Namen, wo
die vielen Dichter geboren ſind, von denen jeder
ſeinen eigenen maͤchtigen Geſang hat, der ſonſt
keinem gleicht und die in ihrer Geſammtheit
den Reichthum und die Tiefe einer Welt, nicht
eines einzelnen Volkes auszuſprechen ſcheinen.
Er liebte ſein helvetiſches Vaterland; aber uͤber
dieſen Strom waren deſſen heiligſte Sagen in
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/67>, abgerufen am 24.11.2024.
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