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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Der Zug schlängelte sich aber auch traumhaft
genug unter dem klaren Himmel und durch Land
und Leute hin.

Wenn wir solche Dinge in der Weise schildern,
wie sie sich dem jungen Wanderer eindrückten, so
wird man in derselben nicht die rücksichtslose
Art der Jugend verkennen, welche mit einer ge¬
wissen, übrigens gesunden Unbestechlichkeit zwi¬
schen dem scheinbaren und dem wirklich Anstößi¬
gen durchaus keinen Unterschied zugeben will.
Da religiöse Gegenstände vor Allem nur Sache
des Herzens sind, so bringt dieses in seiner auf¬
wachenden Blüthezeit das Recht zur Geltung,
die Ueberlieferungen mit seinen angebornen reinen
Trieben in Einklang zu setzen. Wer erinnert sich
nicht jener glücklichen Tage, wo man im geräusch¬
vollen schwindelnden Kreisen dieses Rundes er¬
wachend, mit den neuen feinen Fühlhörnern der
jungen Seele um sich tastend, von keiner Auto¬
rität Notiz nehmen und den Maßstab seines un¬
verdorbenen Gefühles auch an das Ehrwürdigste
und Höchste legen will? Wer will wohl bestrei¬
ten, daß vielleicht, wenn das Ursprüngliche und

Der Zug ſchlaͤngelte ſich aber auch traumhaft
genug unter dem klaren Himmel und durch Land
und Leute hin.

Wenn wir ſolche Dinge in der Weiſe ſchildern,
wie ſie ſich dem jungen Wanderer eindruͤckten, ſo
wird man in derſelben nicht die ruͤckſichtsloſe
Art der Jugend verkennen, welche mit einer ge¬
wiſſen, uͤbrigens geſunden Unbeſtechlichkeit zwi¬
ſchen dem ſcheinbaren und dem wirklich Anſtoͤßi¬
gen durchaus keinen Unterſchied zugeben will.
Da religioͤſe Gegenſtaͤnde vor Allem nur Sache
des Herzens ſind, ſo bringt dieſes in ſeiner auf¬
wachenden Bluͤthezeit das Recht zur Geltung,
die Ueberlieferungen mit ſeinen angebornen reinen
Trieben in Einklang zu ſetzen. Wer erinnert ſich
nicht jener gluͤcklichen Tage, wo man im geraͤuſch¬
vollen ſchwindelnden Kreiſen dieſes Rundes er¬
wachend, mit den neuen feinen Fuͤhlhoͤrnern der
jungen Seele um ſich taſtend, von keiner Auto¬
ritaͤt Notiz nehmen und den Maßſtab ſeines un¬
verdorbenen Gefuͤhles auch an das Ehrwuͤrdigſte
und Hoͤchſte legen will? Wer will wohl beſtrei¬
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[42/0056] Der Zug ſchlaͤngelte ſich aber auch traumhaft genug unter dem klaren Himmel und durch Land und Leute hin. Wenn wir ſolche Dinge in der Weiſe ſchildern, wie ſie ſich dem jungen Wanderer eindruͤckten, ſo wird man in derſelben nicht die ruͤckſichtsloſe Art der Jugend verkennen, welche mit einer ge¬ wiſſen, uͤbrigens geſunden Unbeſtechlichkeit zwi¬ ſchen dem ſcheinbaren und dem wirklich Anſtoͤßi¬ gen durchaus keinen Unterſchied zugeben will. Da religioͤſe Gegenſtaͤnde vor Allem nur Sache des Herzens ſind, ſo bringt dieſes in ſeiner auf¬ wachenden Bluͤthezeit das Recht zur Geltung, die Ueberlieferungen mit ſeinen angebornen reinen Trieben in Einklang zu ſetzen. Wer erinnert ſich nicht jener gluͤcklichen Tage, wo man im geraͤuſch¬ vollen ſchwindelnden Kreiſen dieſes Rundes er¬ wachend, mit den neuen feinen Fuͤhlhoͤrnern der jungen Seele um ſich taſtend, von keiner Auto¬ ritaͤt Notiz nehmen und den Maßſtab ſeines un¬ verdorbenen Gefuͤhles auch an das Ehrwuͤrdigſte und Hoͤchſte legen will? Wer will wohl beſtrei¬ ten, daß vielleicht, wenn das Urſpruͤngliche und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/56>, abgerufen am 22.11.2024.