Endlich kam die Reihe an mich; der letzte Trupp erschien wieder und hieß mich hineingehen. Ich wollte fragen, was denn vorginge, erhielt aber keine Antwort, vielmehr sputeten sie sich ängstlich von hinnen. So trat ich in die Neben¬ stube, halb von Neugierde vorwärts gedrängt, halb von jener beklemmenden Furcht zurückgehal¬ ten, welche die Jugend vor den Alten empfindet, wenn sie ihnen an Verstand überlegene und all¬ mächtige Wesen voraussetzt. Es saßen zwei Herren am oberen Ende eines langen Tisches, zu dessen Fuß ich stand, einige Stücke Papier und ein Bleistift vor sich. Der Eine war der nächste Vorsteher der Schule, der auch selbst Un¬ terricht ertheilte und mich kannte, der Andere ein höherer gelehrter Herr, welcher wenig sagte. Zu Jenem stand ich in einem eigenthümlichen Ver¬ hältnisse; er war ein gemüthlicher Poltron, gern viele Worte machend und froh, wenn ein Schüler durch bescheidene Widerrede ihm Gelegenheit gab, sich gründlich über ein Faktum zu verbreiten. Im Anfange hatte er mir wohl gewollt, da ich gerade bei ihm mich sehr ordentlich aufführte; aber meine
Endlich kam die Reihe an mich; der letzte Trupp erſchien wieder und hieß mich hineingehen. Ich wollte fragen, was denn vorginge, erhielt aber keine Antwort, vielmehr ſputeten ſie ſich aͤngſtlich von hinnen. So trat ich in die Neben¬ ſtube, halb von Neugierde vorwaͤrts gedraͤngt, halb von jener beklemmenden Furcht zuruͤckgehal¬ ten, welche die Jugend vor den Alten empfindet, wenn ſie ihnen an Verſtand uͤberlegene und all¬ maͤchtige Weſen vorausſetzt. Es ſaßen zwei Herren am oberen Ende eines langen Tiſches, zu deſſen Fuß ich ſtand, einige Stuͤcke Papier und ein Bleiſtift vor ſich. Der Eine war der naͤchſte Vorſteher der Schule, der auch ſelbſt Un¬ terricht ertheilte und mich kannte, der Andere ein hoͤherer gelehrter Herr, welcher wenig ſagte. Zu Jenem ſtand ich in einem eigenthuͤmlichen Ver¬ haͤltniſſe; er war ein gemuͤthlicher Poltron, gern viele Worte machend und froh, wenn ein Schuͤler durch beſcheidene Widerrede ihm Gelegenheit gab, ſich gruͤndlich uͤber ein Faktum zu verbreiten. Im Anfange hatte er mir wohl gewollt, da ich gerade bei ihm mich ſehr ordentlich auffuͤhrte; aber meine
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Endlich kam die Reihe an mich; der letzte
Trupp erſchien wieder und hieß mich hineingehen.
Ich wollte fragen, was denn vorginge, erhielt
aber keine Antwort, vielmehr ſputeten ſie ſich
aͤngſtlich von hinnen. So trat ich in die Neben¬
ſtube, halb von Neugierde vorwaͤrts gedraͤngt,
halb von jener beklemmenden Furcht zuruͤckgehal¬
ten, welche die Jugend vor den Alten empfindet,
wenn ſie ihnen an Verſtand uͤberlegene und all¬
maͤchtige Weſen vorausſetzt. Es ſaßen zwei
Herren am oberen Ende eines langen Tiſches,
zu deſſen Fuß ich ſtand, einige Stuͤcke Papier
und ein Bleiſtift vor ſich. Der Eine war der
naͤchſte Vorſteher der Schule, der auch ſelbſt Un¬
terricht ertheilte und mich kannte, der Andere ein
hoͤherer gelehrter Herr, welcher wenig ſagte. Zu
Jenem ſtand ich in einem eigenthuͤmlichen Ver¬
haͤltniſſe; er war ein gemuͤthlicher Poltron, gern
viele Worte machend und froh, wenn ein Schuͤler
durch beſcheidene Widerrede ihm Gelegenheit gab,
ſich gruͤndlich uͤber ein Faktum zu verbreiten. Im
Anfange hatte er mir wohl gewollt, da ich gerade
bei ihm mich ſehr ordentlich auffuͤhrte; aber meine
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/395>, abgerufen am 25.11.2024.
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