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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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würdige Bürgerkind, ohne sich den Kopf zer¬
brechen zu müssen, in das behagliche Privilegien-
und Zunftwesen der guten alten Stadt aufge¬
nommen würde, bestärkten ihre Söhnlein durch
unverhohlenes Lächeln, wo nicht durch direkte Auf¬
reizung, in ihrem Treiben. Obgleich die Sache
längst Aufsehen gemacht hatte, wurde sie nach
Oben hin stets so geschildert, als ob alle Schuld
an dem Verfolgten läge; es kam etwa ein Herr
in die Stunde, um selbst zu sehen, dann hüteten
wir uns aber wohl, etwas zu beginnen, so wie
wir auch in den Stunden der übrigen Lehrer
uns doppelt ruhig verhielten. Der Unglückliche
war ein Ableiter für allen bösen Stoff, welcher
in der Schule steckte. So schleppte er sich bei¬
nahe ein Jahr lang hin, bis er endlich für eine
Zeit lang suspendirt wurde. Er wäre so gerne
ganz weggeblieben, indem er Schaden an seiner
Gesundheit litt und ganz abmagerte; aber eine
zahlreiche Familie schrie nach Brot und er war
auf diesen Beruf angewiesen. So trat er eines
Tages seinen Leidensweg wieder an, so versöhn¬
lich und bescheiden, als möglich; allein er fand

wuͤrdige Buͤrgerkind, ohne ſich den Kopf zer¬
brechen zu muͤſſen, in das behagliche Privilegien-
und Zunftweſen der guten alten Stadt aufge¬
nommen wuͤrde, beſtaͤrkten ihre Soͤhnlein durch
unverhohlenes Laͤcheln, wo nicht durch direkte Auf¬
reizung, in ihrem Treiben. Obgleich die Sache
laͤngſt Aufſehen gemacht hatte, wurde ſie nach
Oben hin ſtets ſo geſchildert, als ob alle Schuld
an dem Verfolgten laͤge; es kam etwa ein Herr
in die Stunde, um ſelbſt zu ſehen, dann huͤteten
wir uns aber wohl, etwas zu beginnen, ſo wie
wir auch in den Stunden der uͤbrigen Lehrer
uns doppelt ruhig verhielten. Der Ungluͤckliche
war ein Ableiter fuͤr allen boͤſen Stoff, welcher
in der Schule ſteckte. So ſchleppte er ſich bei¬
nahe ein Jahr lang hin, bis er endlich fuͤr eine
Zeit lang ſuspendirt wurde. Er waͤre ſo gerne
ganz weggeblieben, indem er Schaden an ſeiner
Geſundheit litt und ganz abmagerte; aber eine
zahlreiche Familie ſchrie nach Brot und er war
auf dieſen Beruf angewieſen. So trat er eines
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[373/0387] wuͤrdige Buͤrgerkind, ohne ſich den Kopf zer¬ brechen zu muͤſſen, in das behagliche Privilegien- und Zunftweſen der guten alten Stadt aufge¬ nommen wuͤrde, beſtaͤrkten ihre Soͤhnlein durch unverhohlenes Laͤcheln, wo nicht durch direkte Auf¬ reizung, in ihrem Treiben. Obgleich die Sache laͤngſt Aufſehen gemacht hatte, wurde ſie nach Oben hin ſtets ſo geſchildert, als ob alle Schuld an dem Verfolgten laͤge; es kam etwa ein Herr in die Stunde, um ſelbſt zu ſehen, dann huͤteten wir uns aber wohl, etwas zu beginnen, ſo wie wir auch in den Stunden der uͤbrigen Lehrer uns doppelt ruhig verhielten. Der Ungluͤckliche war ein Ableiter fuͤr allen boͤſen Stoff, welcher in der Schule ſteckte. So ſchleppte er ſich bei¬ nahe ein Jahr lang hin, bis er endlich fuͤr eine Zeit lang ſuspendirt wurde. Er waͤre ſo gerne ganz weggeblieben, indem er Schaden an ſeiner Geſundheit litt und ganz abmagerte; aber eine zahlreiche Familie ſchrie nach Brot und er war auf dieſen Beruf angewieſen. So trat er eines Tages ſeinen Leidensweg wieder an, ſo verſoͤhn¬ lich und beſcheiden, als moͤglich; allein er fand

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/387>, abgerufen am 25.11.2024.