Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Ganzen und nachschleppendem Unverständniß jenes
Einzelnen. Und doch war die Anstalt gut und
besser als viele Andere; denn das Uebel liegt oder
lag in der ganzen Erziehungsweise, in den ver¬
wendeten Menschen. Der Staat gibt die rechte
Parole und bringt die größten Opfer, mit denen
er seiner Ehre genügt; aber ehe sie Früchte tra¬
gen, muß die ganze alte Generation der Päda¬
gogen aussterben und ein neues Geschlecht ent¬
stehen, welches ein ganz anderes Fühlen, Sehen
und Hören mitbringt, als das alte.

Doch, als ich mich ungefähr dem fünfzehnten
Jahre näherte und die Stimme sich zu verändern
begann, brach durch alle Verwirrung hindurch
ein helleres Licht; in dem Maße, als man uns
Heranwachsende ernster, aber auch rücksichtsvoller
behandelte, fing an die eigentliche Lernbegierde
aufzuthauen, und wie ich ahnte, daß alle Kennt¬
nisse wohl ineinander münden und sich zu Einem
lichten Zwecke verflechten würden, lernte ich die
wirkliche und gewissenhafte Mühe kennen, welche
nicht nur mit dem Talente spielen, sondern auch
mit Lust arbeiten kann. Ich freute mich mit An¬

Ganzen und nachſchleppendem Unverſtaͤndniß jenes
Einzelnen. Und doch war die Anſtalt gut und
beſſer als viele Andere; denn das Uebel liegt oder
lag in der ganzen Erziehungsweiſe, in den ver¬
wendeten Menſchen. Der Staat gibt die rechte
Parole und bringt die groͤßten Opfer, mit denen
er ſeiner Ehre genuͤgt; aber ehe ſie Fruͤchte tra¬
gen, muß die ganze alte Generation der Paͤda¬
gogen ausſterben und ein neues Geſchlecht ent¬
ſtehen, welches ein ganz anderes Fuͤhlen, Sehen
und Hoͤren mitbringt, als das alte.

Doch, als ich mich ungefaͤhr dem fuͤnfzehnten
Jahre naͤherte und die Stimme ſich zu veraͤndern
begann, brach durch alle Verwirrung hindurch
ein helleres Licht; in dem Maße, als man uns
Heranwachſende ernſter, aber auch ruͤckſichtsvoller
behandelte, fing an die eigentliche Lernbegierde
aufzuthauen, und wie ich ahnte, daß alle Kennt¬
niſſe wohl ineinander muͤnden und ſich zu Einem
lichten Zwecke verflechten wuͤrden, lernte ich die
wirkliche und gewiſſenhafte Muͤhe kennen, welche
nicht nur mit dem Talente ſpielen, ſondern auch
mit Luſt arbeiten kann. Ich freute mich mit An¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0381" n="367"/>
Ganzen und nach&#x017F;chleppendem Unver&#x017F;ta&#x0364;ndniß jenes<lb/>
Einzelnen. Und doch war die An&#x017F;talt gut und<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er als viele Andere; denn das Uebel liegt oder<lb/>
lag in der ganzen Erziehungswei&#x017F;e, in den ver¬<lb/>
wendeten Men&#x017F;chen. Der Staat gibt die rechte<lb/>
Parole und bringt die gro&#x0364;ßten Opfer, mit denen<lb/>
er &#x017F;einer Ehre genu&#x0364;gt; aber ehe &#x017F;ie Fru&#x0364;chte tra¬<lb/>
gen, muß die ganze alte Generation der Pa&#x0364;da¬<lb/>
gogen aus&#x017F;terben und ein neues Ge&#x017F;chlecht ent¬<lb/>
&#x017F;tehen, welches ein ganz anderes Fu&#x0364;hlen, Sehen<lb/>
und Ho&#x0364;ren mitbringt, als das alte.</p><lb/>
        <p>Doch, als ich mich ungefa&#x0364;hr dem fu&#x0364;nfzehnten<lb/>
Jahre na&#x0364;herte und die Stimme &#x017F;ich zu vera&#x0364;ndern<lb/>
begann, brach durch alle Verwirrung hindurch<lb/>
ein helleres Licht; in dem Maße, als man uns<lb/>
Heranwach&#x017F;ende ern&#x017F;ter, aber auch ru&#x0364;ck&#x017F;ichtsvoller<lb/>
behandelte, fing an die eigentliche Lernbegierde<lb/>
aufzuthauen, und wie ich ahnte, daß alle Kennt¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e wohl ineinander mu&#x0364;nden und &#x017F;ich zu Einem<lb/>
lichten Zwecke verflechten wu&#x0364;rden, lernte ich die<lb/>
wirkliche und gewi&#x017F;&#x017F;enhafte Mu&#x0364;he kennen, welche<lb/>
nicht nur mit dem Talente &#x017F;pielen, &#x017F;ondern auch<lb/>
mit Lu&#x017F;t arbeiten kann. Ich freute mich mit An¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[367/0381] Ganzen und nachſchleppendem Unverſtaͤndniß jenes Einzelnen. Und doch war die Anſtalt gut und beſſer als viele Andere; denn das Uebel liegt oder lag in der ganzen Erziehungsweiſe, in den ver¬ wendeten Menſchen. Der Staat gibt die rechte Parole und bringt die groͤßten Opfer, mit denen er ſeiner Ehre genuͤgt; aber ehe ſie Fruͤchte tra¬ gen, muß die ganze alte Generation der Paͤda¬ gogen ausſterben und ein neues Geſchlecht ent¬ ſtehen, welches ein ganz anderes Fuͤhlen, Sehen und Hoͤren mitbringt, als das alte. Doch, als ich mich ungefaͤhr dem fuͤnfzehnten Jahre naͤherte und die Stimme ſich zu veraͤndern begann, brach durch alle Verwirrung hindurch ein helleres Licht; in dem Maße, als man uns Heranwachſende ernſter, aber auch ruͤckſichtsvoller behandelte, fing an die eigentliche Lernbegierde aufzuthauen, und wie ich ahnte, daß alle Kennt¬ niſſe wohl ineinander muͤnden und ſich zu Einem lichten Zwecke verflechten wuͤrden, lernte ich die wirkliche und gewiſſenhafte Muͤhe kennen, welche nicht nur mit dem Talente ſpielen, ſondern auch mit Luſt arbeiten kann. Ich freute mich mit An¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/381
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/381>, abgerufen am 25.11.2024.