Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.schon gelesen und glaubte mich im Besitze beson¬ ſchon geleſen und glaubte mich im Beſitze beſon¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0372" n="358"/> ſchon geleſen und glaubte mich im Beſitze beſon¬<lb/> derer Quellen. Mein Aufſatz war eine proſaiſche<lb/> Wiedererzaͤhlung des Gedichtes und beſonders die<lb/> Liebesgeſchichte weitlaͤufig ausgemalt. Als der<lb/> Lehrer mit den durchgeſehenen Heften in die<lb/> Stunde und die Reihe des Beurtheilens an mich<lb/> kam, fragte er mich freundlich, wo ich dieſe und<lb/> jene Umſtaͤnde hergenommen haͤtte. Ich fuͤrchtete<lb/> Unrecht gethan zu haben und ſchwieg auf ſein<lb/> wiederholtes Andringen hartnaͤckig ſtill. Beim<lb/> Nachhauſegehen forderte er mich auf, naͤchſtens<lb/> zu ihm in ſein Haus zu kommen. Ich war ihm<lb/> ſehr zugethan und ahnte wohl, daß mir Gutes<lb/> geſchehen ſollte; aber ich war zu ſchuͤchtern und<lb/> ging nicht hin. Der Mann ſtarb und ein An¬<lb/> derer folgte auf ihn, welcher die Aufgaben aus<lb/> dem Leben griff und uns anwies, die verſchiedenen<lb/> Vorkommniſſe deſſelben zu beſchreiben. So mußten<lb/> wir einmal unſere Ferienreiſe aufzeichnen; ich<lb/> hatte keine gemacht, ſondern die ganze Zeit uͤber<lb/> bei der Mutter hinter dem Ofen geſeſſen, erfand<lb/> aber ein ganzes Heft voll muthwilliger Aben¬<lb/> teuer, welche in dem witzelnden Jargon irgend<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [358/0372]
ſchon geleſen und glaubte mich im Beſitze beſon¬
derer Quellen. Mein Aufſatz war eine proſaiſche
Wiedererzaͤhlung des Gedichtes und beſonders die
Liebesgeſchichte weitlaͤufig ausgemalt. Als der
Lehrer mit den durchgeſehenen Heften in die
Stunde und die Reihe des Beurtheilens an mich
kam, fragte er mich freundlich, wo ich dieſe und
jene Umſtaͤnde hergenommen haͤtte. Ich fuͤrchtete
Unrecht gethan zu haben und ſchwieg auf ſein
wiederholtes Andringen hartnaͤckig ſtill. Beim
Nachhauſegehen forderte er mich auf, naͤchſtens
zu ihm in ſein Haus zu kommen. Ich war ihm
ſehr zugethan und ahnte wohl, daß mir Gutes
geſchehen ſollte; aber ich war zu ſchuͤchtern und
ging nicht hin. Der Mann ſtarb und ein An¬
derer folgte auf ihn, welcher die Aufgaben aus
dem Leben griff und uns anwies, die verſchiedenen
Vorkommniſſe deſſelben zu beſchreiben. So mußten
wir einmal unſere Ferienreiſe aufzeichnen; ich
hatte keine gemacht, ſondern die ganze Zeit uͤber
bei der Mutter hinter dem Ofen geſeſſen, erfand
aber ein ganzes Heft voll muthwilliger Aben¬
teuer, welche in dem witzelnden Jargon irgend
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Zitationshilfe: | Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/372>, abgerufen am 16.02.2025. |