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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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gerade dies so viele Schüler in Verzweiflung
setzte. Stylkünste und Wendungen merkte ich
aus den gelesenen Büchern; was mir, nach mei¬
nem jeweiligen Geschmacke auffiel, das wandte
ich aus Nachahmungstrieb an, bis ich besser unter¬
scheiden lernte. Daher fielen meine Aufsätze um¬
fangreich und überschwänglich aus, ich schriftstel¬
lerte förmlich darin mit großer Liebhaberei und
erschöpfte jedes Mal den Stoff nach allen Sei¬
ten, so weit der Verstand reichte. Während
meines Besuches der Schule waren sich zwei
verschiedene deutsche Lehrer gefolgt. Der Erste
war ein patriotischer Mann, welcher uns mit
Begeisterung die Schweizergeschichte vorerzählte
und stückweise als Stoff zu schriftlichen Arbeiten
aufgab. Dieser Stoff war mir zu knapp, da er
jedesmal nur für zwei oder drei Seiten berechnet
war und ich hier füglich nicht viel hinzuthun
konnte. Ich half mir mit allerlei Schilderungen
der Lokalitäten und Personen, welche etwas selt¬
sam und unnütz ausfielen und den Lehrer auf¬
merksam machten. Als wir zur Geschichte des
Tell kamen, hatte ich das Schiller'sche Drama

gerade dies ſo viele Schuͤler in Verzweiflung
ſetzte. Stylkuͤnſte und Wendungen merkte ich
aus den geleſenen Buͤchern; was mir, nach mei¬
nem jeweiligen Geſchmacke auffiel, das wandte
ich aus Nachahmungstrieb an, bis ich beſſer unter¬
ſcheiden lernte. Daher fielen meine Aufſaͤtze um¬
fangreich und uͤberſchwaͤnglich aus, ich ſchriftſtel¬
lerte foͤrmlich darin mit großer Liebhaberei und
erſchoͤpfte jedes Mal den Stoff nach allen Sei¬
ten, ſo weit der Verſtand reichte. Waͤhrend
meines Beſuches der Schule waren ſich zwei
verſchiedene deutſche Lehrer gefolgt. Der Erſte
war ein patriotiſcher Mann, welcher uns mit
Begeiſterung die Schweizergeſchichte vorerzaͤhlte
und ſtuͤckweiſe als Stoff zu ſchriftlichen Arbeiten
aufgab. Dieſer Stoff war mir zu knapp, da er
jedesmal nur fuͤr zwei oder drei Seiten berechnet
war und ich hier fuͤglich nicht viel hinzuthun
konnte. Ich half mir mit allerlei Schilderungen
der Lokalitaͤten und Perſonen, welche etwas ſelt¬
ſam und unnuͤtz ausfielen und den Lehrer auf¬
merkſam machten. Als wir zur Geſchichte des
Tell kamen, hatte ich das Schiller'ſche Drama

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[357/0371] gerade dies ſo viele Schuͤler in Verzweiflung ſetzte. Stylkuͤnſte und Wendungen merkte ich aus den geleſenen Buͤchern; was mir, nach mei¬ nem jeweiligen Geſchmacke auffiel, das wandte ich aus Nachahmungstrieb an, bis ich beſſer unter¬ ſcheiden lernte. Daher fielen meine Aufſaͤtze um¬ fangreich und uͤberſchwaͤnglich aus, ich ſchriftſtel¬ lerte foͤrmlich darin mit großer Liebhaberei und erſchoͤpfte jedes Mal den Stoff nach allen Sei¬ ten, ſo weit der Verſtand reichte. Waͤhrend meines Beſuches der Schule waren ſich zwei verſchiedene deutſche Lehrer gefolgt. Der Erſte war ein patriotiſcher Mann, welcher uns mit Begeiſterung die Schweizergeſchichte vorerzaͤhlte und ſtuͤckweiſe als Stoff zu ſchriftlichen Arbeiten aufgab. Dieſer Stoff war mir zu knapp, da er jedesmal nur fuͤr zwei oder drei Seiten berechnet war und ich hier fuͤglich nicht viel hinzuthun konnte. Ich half mir mit allerlei Schilderungen der Lokalitaͤten und Perſonen, welche etwas ſelt¬ ſam und unnuͤtz ausfielen und den Lehrer auf¬ merkſam machten. Als wir zur Geſchichte des Tell kamen, hatte ich das Schiller'ſche Drama

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/371>, abgerufen am 25.11.2024.