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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Thränen überließ, ohne indessen viel Geräusch zu
machen; denn ich war nun völlig befreit und fast
vergnügt. Sie ging tief bewegt auf und nieder
und sprach: "So weiß ich nun nicht, was werden
soll, wenn Du Dich nicht fest und für immer
bessern willst!" Damit legte sie das Kästchen
wieder in ihren Schreibtisch und ließ den Schlüssel
desselben an dem gewohnten Ort. "Sieh," sagte
sie, "ich weiß nicht, ob Du, wenn Du Deine paar
Geldstücke noch verbraucht hättest, alsdann auch
nach meinem Gelde, welches ich so sparen muß,
gegriffen haben würdest; es wäre nicht unmöglich
gewesen; aber mir ist es unmöglich, dasselbe vor
Dir zu verschließen. Ich lasse daher den Schlüssel
stecken, wie bisher, und muß es darauf ankommen
lassen, ob Du freiwillig Dich zum Bessern wen¬
dest; denn sonst würde doch Alles nichts helfen
und es wäre gleichgültig, ob wir Beide ein Bis¬
chen früher oder später unglücklich würden!"

Es waren gerade etwa acht Tage Ferien,
ich blieb von selbst im Hause und suchte alle Win¬
kel auf, in denen ich den Frieden und die Ruhe
der früheren Tage wieder fand. Ich war gründ¬

Thraͤnen uͤberließ, ohne indeſſen viel Geraͤuſch zu
machen; denn ich war nun voͤllig befreit und faſt
vergnuͤgt. Sie ging tief bewegt auf und nieder
und ſprach: »So weiß ich nun nicht, was werden
ſoll, wenn Du Dich nicht feſt und fuͤr immer
beſſern willſt!« Damit legte ſie das Kaͤſtchen
wieder in ihren Schreibtiſch und ließ den Schluͤſſel
deſſelben an dem gewohnten Ort. »Sieh,« ſagte
ſie, »ich weiß nicht, ob Du, wenn Du Deine paar
Geldſtuͤcke noch verbraucht haͤtteſt, alsdann auch
nach meinem Gelde, welches ich ſo ſparen muß,
gegriffen haben wuͤrdeſt; es waͤre nicht unmoͤglich
geweſen; aber mir iſt es unmoͤglich, daſſelbe vor
Dir zu verſchließen. Ich laſſe daher den Schluͤſſel
ſtecken, wie bisher, und muß es darauf ankommen
laſſen, ob Du freiwillig Dich zum Beſſern wen¬
deſt; denn ſonſt wuͤrde doch Alles nichts helfen
und es waͤre gleichguͤltig, ob wir Beide ein Bis¬
chen fruͤher oder ſpaͤter ungluͤcklich wuͤrden!«

Es waren gerade etwa acht Tage Ferien,
ich blieb von ſelbſt im Hauſe und ſuchte alle Win¬
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[334/0348] Thraͤnen uͤberließ, ohne indeſſen viel Geraͤuſch zu machen; denn ich war nun voͤllig befreit und faſt vergnuͤgt. Sie ging tief bewegt auf und nieder und ſprach: »So weiß ich nun nicht, was werden ſoll, wenn Du Dich nicht feſt und fuͤr immer beſſern willſt!« Damit legte ſie das Kaͤſtchen wieder in ihren Schreibtiſch und ließ den Schluͤſſel deſſelben an dem gewohnten Ort. »Sieh,« ſagte ſie, »ich weiß nicht, ob Du, wenn Du Deine paar Geldſtuͤcke noch verbraucht haͤtteſt, alsdann auch nach meinem Gelde, welches ich ſo ſparen muß, gegriffen haben wuͤrdeſt; es waͤre nicht unmoͤglich geweſen; aber mir iſt es unmoͤglich, daſſelbe vor Dir zu verſchließen. Ich laſſe daher den Schluͤſſel ſtecken, wie bisher, und muß es darauf ankommen laſſen, ob Du freiwillig Dich zum Beſſern wen¬ deſt; denn ſonſt wuͤrde doch Alles nichts helfen und es waͤre gleichguͤltig, ob wir Beide ein Bis¬ chen fruͤher oder ſpaͤter ungluͤcklich wuͤrden!« Es waren gerade etwa acht Tage Ferien, ich blieb von ſelbſt im Hauſe und ſuchte alle Win¬ kel auf, in denen ich den Frieden und die Ruhe der fruͤheren Tage wieder fand. Ich war gruͤnd¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/348>, abgerufen am 22.11.2024.