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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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jeder Thür lag eine Strohmatte, aber vor einer
allein lag eine besonders reich und zierlich ge¬
flochtene von farbigem Stroh; daneben stand ein
altes, vergoldetes Tischchen und auf diesem ein
Arbeitskörbchen mit Strickzeug, einigen Aepfeln
und einem hübschen, silbernen Messerchen zu äu¬
ßerst am Rande, als ob es so eben hingestellt
wäre. Ich vermuthete, daß hier der Aufenthalt
der Dame sei, und im Augenblicke nur an sie
denkend, legte ich meine Kleinodien mitten auf
die Matte, nur den Ring zu unterst in das
Körbchen auf einen feinen Handschuh. Dann aber
eilte ich trepphinunter aus dem Hause, wo ich
meinen Quälgeist ungeduldig meiner wartend
fand. "Hast Du es gethan?" rief er mir ent¬
gegen. "Ja freilich," erwiderte ich mit leichterem
Herzen. "Das ist nicht wahr," sagte er wieder,
"sie sitzt ja die ganze Zeit an jenem Fenster dort
und hat sich nicht gerührt. Wirklich war die
schöne Frau hinter dem glänzenden Fenster sicht¬
bar und gerade in der Gegend des Hauses, wo
jene Zimmerthür sein mochte. Ich erschrak hef¬
tig, sagte aber: "Ich schwöre Dir, ich habe die

jeder Thuͤr lag eine Strohmatte, aber vor einer
allein lag eine beſonders reich und zierlich ge¬
flochtene von farbigem Stroh; daneben ſtand ein
altes, vergoldetes Tiſchchen und auf dieſem ein
Arbeitskoͤrbchen mit Strickzeug, einigen Aepfeln
und einem huͤbſchen, ſilbernen Meſſerchen zu aͤu¬
ßerſt am Rande, als ob es ſo eben hingeſtellt
waͤre. Ich vermuthete, daß hier der Aufenthalt
der Dame ſei, und im Augenblicke nur an ſie
denkend, legte ich meine Kleinodien mitten auf
die Matte, nur den Ring zu unterſt in das
Koͤrbchen auf einen feinen Handſchuh. Dann aber
eilte ich trepphinunter aus dem Hauſe, wo ich
meinen Quaͤlgeiſt ungeduldig meiner wartend
fand. »Haſt Du es gethan?« rief er mir ent¬
gegen. »Ja freilich,« erwiderte ich mit leichterem
Herzen. »Das iſt nicht wahr,« ſagte er wieder,
»ſie ſitzt ja die ganze Zeit an jenem Fenſter dort
und hat ſich nicht geruͤhrt. Wirklich war die
ſchoͤne Frau hinter dem glaͤnzenden Fenſter ſicht¬
bar und gerade in der Gegend des Hauſes, wo
jene Zimmerthuͤr ſein mochte. Ich erſchrak hef¬
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[293/0307] jeder Thuͤr lag eine Strohmatte, aber vor einer allein lag eine beſonders reich und zierlich ge¬ flochtene von farbigem Stroh; daneben ſtand ein altes, vergoldetes Tiſchchen und auf dieſem ein Arbeitskoͤrbchen mit Strickzeug, einigen Aepfeln und einem huͤbſchen, ſilbernen Meſſerchen zu aͤu¬ ßerſt am Rande, als ob es ſo eben hingeſtellt waͤre. Ich vermuthete, daß hier der Aufenthalt der Dame ſei, und im Augenblicke nur an ſie denkend, legte ich meine Kleinodien mitten auf die Matte, nur den Ring zu unterſt in das Koͤrbchen auf einen feinen Handſchuh. Dann aber eilte ich trepphinunter aus dem Hauſe, wo ich meinen Quaͤlgeiſt ungeduldig meiner wartend fand. »Haſt Du es gethan?« rief er mir ent¬ gegen. »Ja freilich,« erwiderte ich mit leichterem Herzen. »Das iſt nicht wahr,« ſagte er wieder, »ſie ſitzt ja die ganze Zeit an jenem Fenſter dort und hat ſich nicht geruͤhrt. Wirklich war die ſchoͤne Frau hinter dem glaͤnzenden Fenſter ſicht¬ bar und gerade in der Gegend des Hauſes, wo jene Zimmerthuͤr ſein mochte. Ich erſchrak hef¬ tig, ſagte aber: »Ich ſchwoͤre Dir, ich habe die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/307>, abgerufen am 25.11.2024.