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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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und vornehmsten dieser Paläste wohnte der Ge¬
genstand meiner Lügen, eine jener jungen, an¬
muthigen Damen, welche, schön und elegant ge¬
wachsen, mit rosiger Gesichtsfarbe, großen, la¬
chenden Augen und freundlichen Lippen, mit rei¬
chen Locken, wehenden Schleiern und seidenen
Gewändern die Unerfahrenheit berücken und
selbst gefurchte Stirnen aufheitern, so lange
sie durch Unschuld liebenswürdig sind. Wir
standen schon vor dem prächtigen Portale
und mein Begleiter schloß seine Ueberre¬
dungen, daß ich jetzt oder nie meiner Ge¬
bieterin die Geschenke überbringen müßte, endlich
dadurch, daß er frech den goldenen Griff der
Hausglocke packte und anzog. Aber trotz seiner
Frechheit, würde ein Aristokrat sagen, reichte
doch die Energie seines Plebejerthumes nicht aus,
ein kräftiges Geklingel hervorzubringen; es gab
nur einen einzigen zaghaften Ton, welcher im
Innern des großen Hauses verhallte. Nach eini¬
gen Sekunden ruckte der eine Thorflügel um ein
Unmerkliches, und mein Begleiter schob mich
hinein, was ich, aus Furcht vor allem Geräusche,

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und vornehmſten dieſer Palaͤſte wohnte der Ge¬
genſtand meiner Luͤgen, eine jener jungen, an¬
muthigen Damen, welche, ſchoͤn und elegant ge¬
wachſen, mit roſiger Geſichtsfarbe, großen, la¬
chenden Augen und freundlichen Lippen, mit rei¬
chen Locken, wehenden Schleiern und ſeidenen
Gewaͤndern die Unerfahrenheit beruͤcken und
ſelbſt gefurchte Stirnen aufheitern, ſo lange
ſie durch Unſchuld liebenswuͤrdig ſind. Wir
ſtanden ſchon vor dem praͤchtigen Portale
und mein Begleiter ſchloß ſeine Ueberre¬
dungen, daß ich jetzt oder nie meiner Ge¬
bieterin die Geſchenke uͤberbringen muͤßte, endlich
dadurch, daß er frech den goldenen Griff der
Hausglocke packte und anzog. Aber trotz ſeiner
Frechheit, wuͤrde ein Ariſtokrat ſagen, reichte
doch die Energie ſeines Plebejerthumes nicht aus,
ein kraͤftiges Geklingel hervorzubringen; es gab
nur einen einzigen zaghaften Ton, welcher im
Innern des großen Hauſes verhallte. Nach eini¬
gen Sekunden ruckte der eine Thorfluͤgel um ein
Unmerkliches, und mein Begleiter ſchob mich
hinein, was ich, aus Furcht vor allem Geraͤuſche,

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[291/0305] und vornehmſten dieſer Palaͤſte wohnte der Ge¬ genſtand meiner Luͤgen, eine jener jungen, an¬ muthigen Damen, welche, ſchoͤn und elegant ge¬ wachſen, mit roſiger Geſichtsfarbe, großen, la¬ chenden Augen und freundlichen Lippen, mit rei¬ chen Locken, wehenden Schleiern und ſeidenen Gewaͤndern die Unerfahrenheit beruͤcken und ſelbſt gefurchte Stirnen aufheitern, ſo lange ſie durch Unſchuld liebenswuͤrdig ſind. Wir ſtanden ſchon vor dem praͤchtigen Portale und mein Begleiter ſchloß ſeine Ueberre¬ dungen, daß ich jetzt oder nie meiner Ge¬ bieterin die Geſchenke uͤberbringen muͤßte, endlich dadurch, daß er frech den goldenen Griff der Hausglocke packte und anzog. Aber trotz ſeiner Frechheit, wuͤrde ein Ariſtokrat ſagen, reichte doch die Energie ſeines Plebejerthumes nicht aus, ein kraͤftiges Geklingel hervorzubringen; es gab nur einen einzigen zaghaften Ton, welcher im Innern des großen Hauſes verhallte. Nach eini¬ gen Sekunden ruckte der eine Thorfluͤgel um ein Unmerkliches, und mein Begleiter ſchob mich hinein, was ich, aus Furcht vor allem Geraͤuſche, 19 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/305>, abgerufen am 22.11.2024.