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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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den, mit immer neuer Lust ab, auf Estrichen
und Höfen, in Wald und Berg, und ergänzten
das Personal vorweg aus willfährigen Jungen,
die in der Eile abgerichtet wurden. Aus diesen
Spielen gingen nach und nach selbst erfundene,
fortlaufende Geschichten und Abentheuer hervor,
welche zuletzt dahin ausarteten, daß Jeder seine
große Herzens- und Rittergeschichte besaß, deren
Verlauf er den Andern mit allem Ernste berich¬
tete, so daß wir uns in ein ungeheures Lügen¬
netz verwoben und verstrickt sahen; denn wir
trugen unsere erfundenen Erlebnisse gegenseitig
einander so vor, als ob wir unbedingten Glau¬
ben forderten, und gewährten uns denselben auch,
in eigennütziger Absicht, scheinbar. Mir ward
diese trügliche Wahrhaftigkeit leicht, weil der
Hauptgegenstand unserer Geschichten beiderseits
immer eine glänzende und ausgezeichnete Dame
unserer Stadt war und ich diejenige, welche ich
für meine Lügen auserwählt, bald mit meiner
wirklichen Neigung und Verehrung bekleidete.
Daneben hatten wir mächtige Feinde und Neben¬
buhler, als welche wir angesehene, ritterliche Of¬

den, mit immer neuer Luſt ab, auf Eſtrichen
und Hoͤfen, in Wald und Berg, und ergaͤnzten
das Perſonal vorweg aus willfaͤhrigen Jungen,
die in der Eile abgerichtet wurden. Aus dieſen
Spielen gingen nach und nach ſelbſt erfundene,
fortlaufende Geſchichten und Abentheuer hervor,
welche zuletzt dahin ausarteten, daß Jeder ſeine
große Herzens- und Rittergeſchichte beſaß, deren
Verlauf er den Andern mit allem Ernſte berich¬
tete, ſo daß wir uns in ein ungeheures Luͤgen¬
netz verwoben und verſtrickt ſahen; denn wir
trugen unſere erfundenen Erlebniſſe gegenſeitig
einander ſo vor, als ob wir unbedingten Glau¬
ben forderten, und gewaͤhrten uns denſelben auch,
in eigennuͤtziger Abſicht, ſcheinbar. Mir ward
dieſe truͤgliche Wahrhaftigkeit leicht, weil der
Hauptgegenſtand unſerer Geſchichten beiderſeits
immer eine glaͤnzende und ausgezeichnete Dame
unſerer Stadt war und ich diejenige, welche ich
fuͤr meine Luͤgen auserwaͤhlt, bald mit meiner
wirklichen Neigung und Verehrung bekleidete.
Daneben hatten wir maͤchtige Feinde und Neben¬
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[284/0298] den, mit immer neuer Luſt ab, auf Eſtrichen und Hoͤfen, in Wald und Berg, und ergaͤnzten das Perſonal vorweg aus willfaͤhrigen Jungen, die in der Eile abgerichtet wurden. Aus dieſen Spielen gingen nach und nach ſelbſt erfundene, fortlaufende Geſchichten und Abentheuer hervor, welche zuletzt dahin ausarteten, daß Jeder ſeine große Herzens- und Rittergeſchichte beſaß, deren Verlauf er den Andern mit allem Ernſte berich¬ tete, ſo daß wir uns in ein ungeheures Luͤgen¬ netz verwoben und verſtrickt ſahen; denn wir trugen unſere erfundenen Erlebniſſe gegenſeitig einander ſo vor, als ob wir unbedingten Glau¬ ben forderten, und gewaͤhrten uns denſelben auch, in eigennuͤtziger Abſicht, ſcheinbar. Mir ward dieſe truͤgliche Wahrhaftigkeit leicht, weil der Hauptgegenſtand unſerer Geſchichten beiderſeits immer eine glaͤnzende und ausgezeichnete Dame unſerer Stadt war und ich diejenige, welche ich fuͤr meine Luͤgen auserwaͤhlt, bald mit meiner wirklichen Neigung und Verehrung bekleidete. Daneben hatten wir maͤchtige Feinde und Neben¬ buhler, als welche wir angeſehene, ritterliche Of¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/298>, abgerufen am 25.11.2024.