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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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stockter Menschen zu beschäftigen, mußte während
der so unendlich scheinenden Jugendjahre in
ewigem Wiederkäuen auswendig gelernt und in
verständnißlosem Dialoge hergesagt werden. Harte
Worte und harte Bußen waren die Aufklärungen,
beklemmende Angst, keines der dunklen Worte
zu vergessen, die Anfeuerung zu diesem religiösen
Leben. Einzelne Psalmstellen und Liederstrophen,
ebenfalls aus allem Zusammenhange gezerrt und
deshalb unlieber einzuprägen, als ein ganzes
organisches Gedicht, verwirrten das Gedächtniß,
anstatt es zu üben. Wenn man diese, gegen die
verwilderte Sündhaftigkeit ausgewachsener Men¬
schen gerichteten, vierschrötigen nackten Gebote
neben den übersinnlichen und unfaßlichen Glau¬
benssätzen gereiht sah, so fühlte man nicht den
Geist wehen einer sanften menschlichen Ent¬
wicklung, sondern den schwülen Hauch eines
rohen und starren Barbarenthums, wo es einzig
darauf ankommt, den jungen, zarten Nachwuchs
auf der Schnell- und Zwangbleiche so früh als
möglich für den ganzen Umfang des bestehenden
Lebens und Denkens fertig und verantwortlich

ſtockter Menſchen zu beſchaͤftigen, mußte waͤhrend
der ſo unendlich ſcheinenden Jugendjahre in
ewigem Wiederkaͤuen auswendig gelernt und in
verſtaͤndnißloſem Dialoge hergeſagt werden. Harte
Worte und harte Bußen waren die Aufklaͤrungen,
beklemmende Angſt, keines der dunklen Worte
zu vergeſſen, die Anfeuerung zu dieſem religioͤſen
Leben. Einzelne Pſalmſtellen und Liederſtrophen,
ebenfalls aus allem Zuſammenhange gezerrt und
deshalb unlieber einzupraͤgen, als ein ganzes
organiſches Gedicht, verwirrten das Gedaͤchtniß,
anſtatt es zu uͤben. Wenn man dieſe, gegen die
verwilderte Suͤndhaftigkeit ausgewachſener Men¬
ſchen gerichteten, vierſchroͤtigen nackten Gebote
neben den uͤberſinnlichen und unfaßlichen Glau¬
bensſaͤtzen gereiht ſah, ſo fuͤhlte man nicht den
Geiſt wehen einer ſanften menſchlichen Ent¬
wicklung, ſondern den ſchwuͤlen Hauch eines
rohen und ſtarren Barbarenthums, wo es einzig
darauf ankommt, den jungen, zarten Nachwuchs
auf der Schnell- und Zwangbleiche ſo fruͤh als
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[238/0252] ſtockter Menſchen zu beſchaͤftigen, mußte waͤhrend der ſo unendlich ſcheinenden Jugendjahre in ewigem Wiederkaͤuen auswendig gelernt und in verſtaͤndnißloſem Dialoge hergeſagt werden. Harte Worte und harte Bußen waren die Aufklaͤrungen, beklemmende Angſt, keines der dunklen Worte zu vergeſſen, die Anfeuerung zu dieſem religioͤſen Leben. Einzelne Pſalmſtellen und Liederſtrophen, ebenfalls aus allem Zuſammenhange gezerrt und deshalb unlieber einzupraͤgen, als ein ganzes organiſches Gedicht, verwirrten das Gedaͤchtniß, anſtatt es zu uͤben. Wenn man dieſe, gegen die verwilderte Suͤndhaftigkeit ausgewachſener Men¬ ſchen gerichteten, vierſchroͤtigen nackten Gebote neben den uͤberſinnlichen und unfaßlichen Glau¬ bensſaͤtzen gereiht ſah, ſo fuͤhlte man nicht den Geiſt wehen einer ſanften menſchlichen Ent¬ wicklung, ſondern den ſchwuͤlen Hauch eines rohen und ſtarren Barbarenthums, wo es einzig darauf ankommt, den jungen, zarten Nachwuchs auf der Schnell- und Zwangbleiche ſo fruͤh als moͤglich fuͤr den ganzen Umfang des beſtehenden Lebens und Denkens fertig und verantwortlich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/252>, abgerufen am 25.11.2024.