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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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ten Tafel auf einem Schranke stehen mußte,
einen ganzen Tag lang. Ich hatte großes Mit¬
leid mit ihr, obgleich sie etwas Großes begangen
haben mußte. Vielleicht war sie auch unschuldig
verurtheilt! Ein paar Jahre später ertränkte sich
das gleiche Mädchen während des Confirmations-
Unterrichtes, ich weiß nicht mehr weshalb, er¬
innere mich aber noch der trauernden Theil¬
nahme, welche ich für die Todte hegte, als ich sie
begraben sah, gefolgt von einer großen Schaar
weiß gekleideter Mädchen zwischen fünf- und
sechszehn Jahren, welche Blumen trugen. Man
erwies ihr, ungeachtet ihres unchristlichen Todes,
diese Ehre ihrer Jugend wegen, weil man zu¬
gleich das grelle Ereigniß damit verhüllen und
mäßigen konnte.

Die andere peinliche Erinnerung an jene
Schulzeit sind mir der Katechismus und die
Stunden, während deren wir uns damit beschäf¬
tigen mußten. Ein kleines Buch voll hölzerner,
blutloser Fragen und Antworten, losgerissen aus
dem frischen Leben der biblischen Schriften, nur
geeignet, den dürren Verstand bejahrter und ver¬

ten Tafel auf einem Schranke ſtehen mußte,
einen ganzen Tag lang. Ich hatte großes Mit¬
leid mit ihr, obgleich ſie etwas Großes begangen
haben mußte. Vielleicht war ſie auch unſchuldig
verurtheilt! Ein paar Jahre ſpaͤter ertraͤnkte ſich
das gleiche Maͤdchen waͤhrend des Confirmations-
Unterrichtes, ich weiß nicht mehr weshalb, er¬
innere mich aber noch der trauernden Theil¬
nahme, welche ich fuͤr die Todte hegte, als ich ſie
begraben ſah, gefolgt von einer großen Schaar
weiß gekleideter Maͤdchen zwiſchen fuͤnf- und
ſechszehn Jahren, welche Blumen trugen. Man
erwies ihr, ungeachtet ihres unchriſtlichen Todes,
dieſe Ehre ihrer Jugend wegen, weil man zu¬
gleich das grelle Ereigniß damit verhuͤllen und
maͤßigen konnte.

Die andere peinliche Erinnerung an jene
Schulzeit ſind mir der Katechismus und die
Stunden, waͤhrend deren wir uns damit beſchaͤf¬
tigen mußten. Ein kleines Buch voll hoͤlzerner,
blutloſer Fragen und Antworten, losgeriſſen aus
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[237/0251] ten Tafel auf einem Schranke ſtehen mußte, einen ganzen Tag lang. Ich hatte großes Mit¬ leid mit ihr, obgleich ſie etwas Großes begangen haben mußte. Vielleicht war ſie auch unſchuldig verurtheilt! Ein paar Jahre ſpaͤter ertraͤnkte ſich das gleiche Maͤdchen waͤhrend des Confirmations- Unterrichtes, ich weiß nicht mehr weshalb, er¬ innere mich aber noch der trauernden Theil¬ nahme, welche ich fuͤr die Todte hegte, als ich ſie begraben ſah, gefolgt von einer großen Schaar weiß gekleideter Maͤdchen zwiſchen fuͤnf- und ſechszehn Jahren, welche Blumen trugen. Man erwies ihr, ungeachtet ihres unchriſtlichen Todes, dieſe Ehre ihrer Jugend wegen, weil man zu¬ gleich das grelle Ereigniß damit verhuͤllen und maͤßigen konnte. Die andere peinliche Erinnerung an jene Schulzeit ſind mir der Katechismus und die Stunden, waͤhrend deren wir uns damit beſchaͤf¬ tigen mußten. Ein kleines Buch voll hoͤlzerner, blutloſer Fragen und Antworten, losgeriſſen aus dem friſchen Leben der bibliſchen Schriften, nur geeignet, den duͤrren Verſtand bejahrter und ver¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/251>, abgerufen am 25.11.2024.