Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

stand, die längs den Wänden angebracht waren.
Inmitten jedes Kreises saß auf einem Stühlchen
ebenfalls ein unterrichtender Schüler oder eine
Schülerin. Der Hauptlehrer thronte auf einem
erhöhten Katheder und übersah das Ganze, zwei
Gehülfen, aus ehemaligen Schülern herangezogen,
standen ihm bei, machten die Runde durch den
ziemlich düstern Saal, hier und dort einschrei¬
tend, nachhelfend und die gelehrtesten Dinge
selbst beibringend. Jede halbe Stunde wurde
mit dem Gegenstande gewechselt, der Oberlehrer
gab ein Zeichen mit einer Klingel, und nun
wurde ein treffliches Manöver ausgeführt, mit¬
telst dessen die hundert Kinder in vorgeschriebener
Bewegung und Haltung, immer nach der Klin¬
gel, aufstanden, sich kehrten, schwenkten und durch
einen wohl berechneten Contre-Marsch in einer
Minute die Stellung wechselten, so daß die frü¬
her funfzig Sitzenden nun zu stehen kamen und
umgekehrt. Es war immer eine unendlich glück¬
liche Minute, wenn wir, die Hände reglemen¬
tarisch auf dem Rücken verschränkt, die Knaben
bei den Mädchen vorbei marschirten und unsern

ſtand, die laͤngs den Waͤnden angebracht waren.
Inmitten jedes Kreiſes ſaß auf einem Stuͤhlchen
ebenfalls ein unterrichtender Schuͤler oder eine
Schuͤlerin. Der Hauptlehrer thronte auf einem
erhoͤhten Katheder und uͤberſah das Ganze, zwei
Gehuͤlfen, aus ehemaligen Schuͤlern herangezogen,
ſtanden ihm bei, machten die Runde durch den
ziemlich duͤſtern Saal, hier und dort einſchrei¬
tend, nachhelfend und die gelehrteſten Dinge
ſelbſt beibringend. Jede halbe Stunde wurde
mit dem Gegenſtande gewechſelt, der Oberlehrer
gab ein Zeichen mit einer Klingel, und nun
wurde ein treffliches Manoͤver ausgefuͤhrt, mit¬
telſt deſſen die hundert Kinder in vorgeſchriebener
Bewegung und Haltung, immer nach der Klin¬
gel, aufſtanden, ſich kehrten, ſchwenkten und durch
einen wohl berechneten Contre-Marſch in einer
Minute die Stellung wechſelten, ſo daß die fruͤ¬
her funfzig Sitzenden nun zu ſtehen kamen und
umgekehrt. Es war immer eine unendlich gluͤck¬
liche Minute, wenn wir, die Haͤnde reglemen¬
tariſch auf dem Ruͤcken verſchraͤnkt, die Knaben
bei den Maͤdchen vorbei marſchirten und unſern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="229"/>
&#x017F;tand, die la&#x0364;ngs den Wa&#x0364;nden angebracht waren.<lb/>
Inmitten jedes Krei&#x017F;es &#x017F;aß auf einem Stu&#x0364;hlchen<lb/>
ebenfalls ein unterrichtender Schu&#x0364;ler oder eine<lb/>
Schu&#x0364;lerin. Der Hauptlehrer thronte auf einem<lb/>
erho&#x0364;hten Katheder und u&#x0364;ber&#x017F;ah das Ganze, zwei<lb/>
Gehu&#x0364;lfen, aus ehemaligen Schu&#x0364;lern herangezogen,<lb/>
&#x017F;tanden ihm bei, machten die Runde durch den<lb/>
ziemlich du&#x0364;&#x017F;tern Saal, hier und dort ein&#x017F;chrei¬<lb/>
tend, nachhelfend und die gelehrte&#x017F;ten Dinge<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t beibringend. Jede halbe Stunde wurde<lb/>
mit dem Gegen&#x017F;tande gewech&#x017F;elt, der Oberlehrer<lb/>
gab ein Zeichen mit einer Klingel, und nun<lb/>
wurde ein treffliches Mano&#x0364;ver ausgefu&#x0364;hrt, mit¬<lb/>
tel&#x017F;t de&#x017F;&#x017F;en die hundert Kinder in vorge&#x017F;chriebener<lb/>
Bewegung und Haltung, immer nach der Klin¬<lb/>
gel, auf&#x017F;tanden, &#x017F;ich kehrten, &#x017F;chwenkten und durch<lb/>
einen wohl berechneten Contre-Mar&#x017F;ch in einer<lb/>
Minute die Stellung wech&#x017F;elten, &#x017F;o daß die fru&#x0364;¬<lb/>
her funfzig Sitzenden nun zu &#x017F;tehen kamen und<lb/>
umgekehrt. Es war immer eine unendlich glu&#x0364;ck¬<lb/>
liche Minute, wenn wir, die Ha&#x0364;nde reglemen¬<lb/>
tari&#x017F;ch auf dem Ru&#x0364;cken ver&#x017F;chra&#x0364;nkt, die Knaben<lb/>
bei den Ma&#x0364;dchen vorbei mar&#x017F;chirten und un&#x017F;ern<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0243] ſtand, die laͤngs den Waͤnden angebracht waren. Inmitten jedes Kreiſes ſaß auf einem Stuͤhlchen ebenfalls ein unterrichtender Schuͤler oder eine Schuͤlerin. Der Hauptlehrer thronte auf einem erhoͤhten Katheder und uͤberſah das Ganze, zwei Gehuͤlfen, aus ehemaligen Schuͤlern herangezogen, ſtanden ihm bei, machten die Runde durch den ziemlich duͤſtern Saal, hier und dort einſchrei¬ tend, nachhelfend und die gelehrteſten Dinge ſelbſt beibringend. Jede halbe Stunde wurde mit dem Gegenſtande gewechſelt, der Oberlehrer gab ein Zeichen mit einer Klingel, und nun wurde ein treffliches Manoͤver ausgefuͤhrt, mit¬ telſt deſſen die hundert Kinder in vorgeſchriebener Bewegung und Haltung, immer nach der Klin¬ gel, aufſtanden, ſich kehrten, ſchwenkten und durch einen wohl berechneten Contre-Marſch in einer Minute die Stellung wechſelten, ſo daß die fruͤ¬ her funfzig Sitzenden nun zu ſtehen kamen und umgekehrt. Es war immer eine unendlich gluͤck¬ liche Minute, wenn wir, die Haͤnde reglemen¬ tariſch auf dem Ruͤcken verſchraͤnkt, die Knaben bei den Maͤdchen vorbei marſchirten und unſern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/243
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/243>, abgerufen am 22.11.2024.