Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

geschmolzenen Reste jener früheren Theilung. Er
lebte noch drei Jahre und starb gerade an dem
Tage, wo das letzte Goldstück gewechselt werden
mußte. Bis dahin vertrieb er sich die Zeit da¬
mit, daß er sich vornahm und ausmalte, wie er
im Jenseits seine Frau harranguiren wolle, wenn
sie da "mit ihren verrückten Ideen herum¬
schlampe", und welche Streiche er ihr Angesichts
der Apostel und Propheten spielen würde, daß
die alten Gesellen was zu lachen bekämen. Auch
an manchen Todten seiner Bekanntschaft er¬
innerte er sich und freute sich auf die Wieder¬
belebung verjährten Unfuges beim Wiedersehen.
Ich hörte ihn immer nur in solch lustiger Art
vom zukünftigen Leben sprechen. Er war nun
blind und bald neunzig Jahre alt, und wenn er
von Schmerzen, Trübsal und Schwäche heim¬
gesucht, traurig und klagend wurde, so sprach er
nichts von diesen Dingen, sondern rief immer,
man sollte die Menschen todtschlagen, ehe sie so
alt und elend würden.

Endlich ging er aus, wie ein Licht, dessen
letzter Tropfen Oel aufgezehrt ist, schon vergessen

geſchmolzenen Reſte jener fruͤheren Theilung. Er
lebte noch drei Jahre und ſtarb gerade an dem
Tage, wo das letzte Goldſtuͤck gewechſelt werden
mußte. Bis dahin vertrieb er ſich die Zeit da¬
mit, daß er ſich vornahm und ausmalte, wie er
im Jenſeits ſeine Frau harranguiren wolle, wenn
ſie da »mit ihren verruͤckten Ideen herum¬
ſchlampe«, und welche Streiche er ihr Angeſichts
der Apoſtel und Propheten ſpielen wuͤrde, daß
die alten Geſellen was zu lachen bekaͤmen. Auch
an manchen Todten ſeiner Bekanntſchaft er¬
innerte er ſich und freute ſich auf die Wieder¬
belebung verjaͤhrten Unfuges beim Wiederſehen.
Ich hoͤrte ihn immer nur in ſolch luſtiger Art
vom zukuͤnftigen Leben ſprechen. Er war nun
blind und bald neunzig Jahre alt, und wenn er
von Schmerzen, Truͤbſal und Schwaͤche heim¬
geſucht, traurig und klagend wurde, ſo ſprach er
nichts von dieſen Dingen, ſondern rief immer,
man ſollte die Menſchen todtſchlagen, ehe ſie ſo
alt und elend wuͤrden.

Endlich ging er aus, wie ein Licht, deſſen
letzter Tropfen Oel aufgezehrt iſt, ſchon vergeſſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0230" n="216"/>
ge&#x017F;chmolzenen Re&#x017F;te jener fru&#x0364;heren Theilung. Er<lb/>
lebte noch drei Jahre und &#x017F;tarb gerade an dem<lb/>
Tage, wo das letzte Gold&#x017F;tu&#x0364;ck gewech&#x017F;elt werden<lb/>
mußte. Bis dahin vertrieb er &#x017F;ich die Zeit da¬<lb/>
mit, daß er &#x017F;ich vornahm und ausmalte, wie er<lb/>
im Jen&#x017F;eits &#x017F;eine Frau harranguiren wolle, wenn<lb/>
&#x017F;ie da »mit ihren verru&#x0364;ckten Ideen herum¬<lb/>
&#x017F;chlampe«, und welche Streiche er ihr Ange&#x017F;ichts<lb/>
der Apo&#x017F;tel und Propheten &#x017F;pielen wu&#x0364;rde, daß<lb/>
die alten Ge&#x017F;ellen was zu lachen beka&#x0364;men. Auch<lb/>
an manchen Todten &#x017F;einer Bekannt&#x017F;chaft er¬<lb/>
innerte er &#x017F;ich und freute &#x017F;ich auf die Wieder¬<lb/>
belebung verja&#x0364;hrten Unfuges beim Wieder&#x017F;ehen.<lb/>
Ich ho&#x0364;rte ihn immer nur in &#x017F;olch lu&#x017F;tiger Art<lb/>
vom zuku&#x0364;nftigen Leben &#x017F;prechen. Er war nun<lb/>
blind und bald neunzig Jahre alt, und wenn er<lb/>
von Schmerzen, Tru&#x0364;b&#x017F;al und Schwa&#x0364;che heim¬<lb/>
ge&#x017F;ucht, traurig und klagend wurde, &#x017F;o &#x017F;prach er<lb/>
nichts von die&#x017F;en Dingen, &#x017F;ondern rief immer,<lb/>
man &#x017F;ollte die Men&#x017F;chen todt&#x017F;chlagen, ehe &#x017F;ie &#x017F;o<lb/>
alt und elend wu&#x0364;rden.</p><lb/>
        <p>Endlich ging er aus, wie ein Licht, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
letzter Tropfen Oel aufgezehrt i&#x017F;t, &#x017F;chon verge&#x017F;&#x017F;en<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0230] geſchmolzenen Reſte jener fruͤheren Theilung. Er lebte noch drei Jahre und ſtarb gerade an dem Tage, wo das letzte Goldſtuͤck gewechſelt werden mußte. Bis dahin vertrieb er ſich die Zeit da¬ mit, daß er ſich vornahm und ausmalte, wie er im Jenſeits ſeine Frau harranguiren wolle, wenn ſie da »mit ihren verruͤckten Ideen herum¬ ſchlampe«, und welche Streiche er ihr Angeſichts der Apoſtel und Propheten ſpielen wuͤrde, daß die alten Geſellen was zu lachen bekaͤmen. Auch an manchen Todten ſeiner Bekanntſchaft er¬ innerte er ſich und freute ſich auf die Wieder¬ belebung verjaͤhrten Unfuges beim Wiederſehen. Ich hoͤrte ihn immer nur in ſolch luſtiger Art vom zukuͤnftigen Leben ſprechen. Er war nun blind und bald neunzig Jahre alt, und wenn er von Schmerzen, Truͤbſal und Schwaͤche heim¬ geſucht, traurig und klagend wurde, ſo ſprach er nichts von dieſen Dingen, ſondern rief immer, man ſollte die Menſchen todtſchlagen, ehe ſie ſo alt und elend wuͤrden. Endlich ging er aus, wie ein Licht, deſſen letzter Tropfen Oel aufgezehrt iſt, ſchon vergeſſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/230
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/230>, abgerufen am 28.11.2024.