Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

den glücklichen Erben, welcher ganz ruhig seine
Habe einpackte, was irgend von Nutzen war,
und auf einen ungeheuerlichen Wagen lud. Er
überließ den armen Leuten Nichts, als die vor¬
handenen Vorräthe an Lebensmitteln und die ge¬
sammelten Seltsamkeiten und Bücher der Seligen,
insofern sie nicht von Gold, Silber oder sonstigem
Gehalte waren. Drei Tage und drei Nächte
blieb der wehklagende Schwarm in dem Trauer¬
hause, bis der letzte Knochen zerschlagen und
dessen Mark mit dem letzten Bissen Brot aufge¬
tunkt war. Sodann zerstreuten sie sich allmälig,
ein Jeder mit dem Andenken, das er noch erbeu¬
tet hatte. Der Eine trug eine Partie Heiden-
und Götzenbücher auf der Schulter, mit einem
tüchtigen Stricke zusammengebunden und mit
einem Scheite geknebelt, und unter dem Arme
ein Säcklein getrockneter Pflaumen; der Andere
hing ein Muttergottesbild an seinem Stabe über
den Rücken und wiegte auf dem Kopfe eine
kunstreich geschnitzte Lade, sehr geschickt mit Kar¬
toffeln angefüllt in allen ihren Fächern. Hagere
lange Jungfrauen trugen zierliche altmodische

den gluͤcklichen Erben, welcher ganz ruhig ſeine
Habe einpackte, was irgend von Nutzen war,
und auf einen ungeheuerlichen Wagen lud. Er
uͤberließ den armen Leuten Nichts, als die vor¬
handenen Vorraͤthe an Lebensmitteln und die ge¬
ſammelten Seltſamkeiten und Buͤcher der Seligen,
inſofern ſie nicht von Gold, Silber oder ſonſtigem
Gehalte waren. Drei Tage und drei Naͤchte
blieb der wehklagende Schwarm in dem Trauer¬
hauſe, bis der letzte Knochen zerſchlagen und
deſſen Mark mit dem letzten Biſſen Brot aufge¬
tunkt war. Sodann zerſtreuten ſie ſich allmaͤlig,
ein Jeder mit dem Andenken, das er noch erbeu¬
tet hatte. Der Eine trug eine Partie Heiden-
und Goͤtzenbuͤcher auf der Schulter, mit einem
tuͤchtigen Stricke zuſammengebunden und mit
einem Scheite geknebelt, und unter dem Arme
ein Saͤcklein getrockneter Pflaumen; der Andere
hing ein Muttergottesbild an ſeinem Stabe uͤber
den Ruͤcken und wiegte auf dem Kopfe eine
kunſtreich geſchnitzte Lade, ſehr geſchickt mit Kar¬
toffeln angefuͤllt in allen ihren Faͤchern. Hagere
lange Jungfrauen trugen zierliche altmodiſche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0228" n="214"/>
den glu&#x0364;cklichen Erben, welcher ganz ruhig &#x017F;eine<lb/>
Habe einpackte, was irgend von Nutzen war,<lb/>
und auf einen ungeheuerlichen Wagen lud. Er<lb/>
u&#x0364;berließ den armen Leuten Nichts, als die vor¬<lb/>
handenen Vorra&#x0364;the an Lebensmitteln und die ge¬<lb/>
&#x017F;ammelten Selt&#x017F;amkeiten und Bu&#x0364;cher der Seligen,<lb/>
in&#x017F;ofern &#x017F;ie nicht von Gold, Silber oder &#x017F;on&#x017F;tigem<lb/>
Gehalte waren. Drei Tage und drei Na&#x0364;chte<lb/>
blieb der wehklagende Schwarm in dem Trauer¬<lb/>
hau&#x017F;e, bis der letzte Knochen zer&#x017F;chlagen und<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Mark mit dem letzten Bi&#x017F;&#x017F;en Brot aufge¬<lb/>
tunkt war. Sodann zer&#x017F;treuten &#x017F;ie &#x017F;ich allma&#x0364;lig,<lb/>
ein Jeder mit dem Andenken, das er noch erbeu¬<lb/>
tet hatte. Der Eine trug eine Partie Heiden-<lb/>
und Go&#x0364;tzenbu&#x0364;cher auf der Schulter, mit einem<lb/>
tu&#x0364;chtigen Stricke zu&#x017F;ammengebunden und mit<lb/>
einem Scheite geknebelt, und unter dem Arme<lb/>
ein Sa&#x0364;cklein getrockneter Pflaumen; der Andere<lb/>
hing ein Muttergottesbild an &#x017F;einem Stabe u&#x0364;ber<lb/>
den Ru&#x0364;cken und wiegte auf dem Kopfe eine<lb/>
kun&#x017F;treich ge&#x017F;chnitzte Lade, &#x017F;ehr ge&#x017F;chickt mit Kar¬<lb/>
toffeln angefu&#x0364;llt in allen ihren Fa&#x0364;chern. Hagere<lb/>
lange Jungfrauen trugen zierliche altmodi&#x017F;che<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0228] den gluͤcklichen Erben, welcher ganz ruhig ſeine Habe einpackte, was irgend von Nutzen war, und auf einen ungeheuerlichen Wagen lud. Er uͤberließ den armen Leuten Nichts, als die vor¬ handenen Vorraͤthe an Lebensmitteln und die ge¬ ſammelten Seltſamkeiten und Buͤcher der Seligen, inſofern ſie nicht von Gold, Silber oder ſonſtigem Gehalte waren. Drei Tage und drei Naͤchte blieb der wehklagende Schwarm in dem Trauer¬ hauſe, bis der letzte Knochen zerſchlagen und deſſen Mark mit dem letzten Biſſen Brot aufge¬ tunkt war. Sodann zerſtreuten ſie ſich allmaͤlig, ein Jeder mit dem Andenken, das er noch erbeu¬ tet hatte. Der Eine trug eine Partie Heiden- und Goͤtzenbuͤcher auf der Schulter, mit einem tuͤchtigen Stricke zuſammengebunden und mit einem Scheite geknebelt, und unter dem Arme ein Saͤcklein getrockneter Pflaumen; der Andere hing ein Muttergottesbild an ſeinem Stabe uͤber den Ruͤcken und wiegte auf dem Kopfe eine kunſtreich geſchnitzte Lade, ſehr geſchickt mit Kar¬ toffeln angefuͤllt in allen ihren Faͤchern. Hagere lange Jungfrauen trugen zierliche altmodiſche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/228
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/228>, abgerufen am 25.11.2024.