einen Tag leben können; auch ihm war es mitt¬ lerweile wohl genug und er besorgte mit humo¬ ristischer Geschäftigkeit die Küche, während sie im Kreise ihrer schwärmerischen Genossen die überfüllte Phantasie entzügelte. Doch in jeder Jahreszeit ein Mal, wenn in der Natur die gro¬ ßen Veränderungen geschahen und die alten Men¬ schen an die schnelle Vergänglichkeit ihres Lebens erinnerten und ihre körperlichen Gebrechen fühl¬ barer wurden, erwachte, meistens in dunklen schlaflosen Nächten, ein entsetzlicher Streit zwi¬ schen ihnen, daß sie aufrecht in ihrem breiten alterthümlichen Bette saßen, unter dem Einen buntbemalten Himmel, und bis zum Morgen¬ grauen, bei geöffneten Fenstern, sich die tödtlichen Beleidigungen und Zankworte zuschleuderten, daß die stillen Gassen davon wiederhallten. Sie warfen sich die Vergehungen einer fern abliegen¬ den, sinnlich durchlebten Jugend vor und riefen Dinge durch die lautlose Nacht aus, welche lange vor der Wende dieses Jahrhunderts, in Bergen und Gefilden geschehen, wo seitdem ganze dichte Wälder entweder gewachsen oder verschwunden,
einen Tag leben koͤnnen; auch ihm war es mitt¬ lerweile wohl genug und er beſorgte mit humo¬ riſtiſcher Geſchaͤftigkeit die Kuͤche, waͤhrend ſie im Kreiſe ihrer ſchwaͤrmeriſchen Genoſſen die uͤberfuͤllte Phantaſie entzuͤgelte. Doch in jeder Jahreszeit ein Mal, wenn in der Natur die gro¬ ßen Veraͤnderungen geſchahen und die alten Men¬ ſchen an die ſchnelle Vergaͤnglichkeit ihres Lebens erinnerten und ihre koͤrperlichen Gebrechen fuͤhl¬ barer wurden, erwachte, meiſtens in dunklen ſchlafloſen Naͤchten, ein entſetzlicher Streit zwi¬ ſchen ihnen, daß ſie aufrecht in ihrem breiten alterthuͤmlichen Bette ſaßen, unter dem Einen buntbemalten Himmel, und bis zum Morgen¬ grauen, bei geoͤffneten Fenſtern, ſich die toͤdtlichen Beleidigungen und Zankworte zuſchleuderten, daß die ſtillen Gaſſen davon wiederhallten. Sie warfen ſich die Vergehungen einer fern abliegen¬ den, ſinnlich durchlebten Jugend vor und riefen Dinge durch die lautloſe Nacht aus, welche lange vor der Wende dieſes Jahrhunderts, in Bergen und Gefilden geſchehen, wo ſeitdem ganze dichte Waͤlder entweder gewachſen oder verſchwunden,
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[208/0222]
einen Tag leben koͤnnen; auch ihm war es mitt¬
lerweile wohl genug und er beſorgte mit humo¬
riſtiſcher Geſchaͤftigkeit die Kuͤche, waͤhrend ſie
im Kreiſe ihrer ſchwaͤrmeriſchen Genoſſen die
uͤberfuͤllte Phantaſie entzuͤgelte. Doch in jeder
Jahreszeit ein Mal, wenn in der Natur die gro¬
ßen Veraͤnderungen geſchahen und die alten Men¬
ſchen an die ſchnelle Vergaͤnglichkeit ihres Lebens
erinnerten und ihre koͤrperlichen Gebrechen fuͤhl¬
barer wurden, erwachte, meiſtens in dunklen
ſchlafloſen Naͤchten, ein entſetzlicher Streit zwi¬
ſchen ihnen, daß ſie aufrecht in ihrem breiten
alterthuͤmlichen Bette ſaßen, unter dem Einen
buntbemalten Himmel, und bis zum Morgen¬
grauen, bei geoͤffneten Fenſtern, ſich die toͤdtlichen
Beleidigungen und Zankworte zuſchleuderten, daß
die ſtillen Gaſſen davon wiederhallten. Sie
warfen ſich die Vergehungen einer fern abliegen¬
den, ſinnlich durchlebten Jugend vor und riefen
Dinge durch die lautloſe Nacht aus, welche lange
vor der Wende dieſes Jahrhunderts, in Bergen
und Gefilden geſchehen, wo ſeitdem ganze dichte
Waͤlder entweder gewachſen oder verſchwunden,
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/222>, abgerufen am 28.11.2024.
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