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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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wenn er eine Privatliebhaberei befriedigen wollte.
Sie erholte sich indessen wieder und hatte nach
einiger Zeit ihren eigenen Schatz wieder vervoll¬
ständigt und mit den Jahren verdoppelt; aber
ihr einziger Gedanke war seit jenem Tage der
Theilung, mit der Zeit wieder in den Besitz des
Entrissenen zu gelangen, und das war nur mög¬
lich durch den Tod ihres Mannes. Daher ging
ihr jedesmal ein Stich durch das Herz, wenn
er ein Goldstück umwechselte, und sie harrte un¬
verwandt auf seinen Tod. Er hingegen wartete
eben so sehnlich auf den ihrigen, um Herr und
Meister des ganzen Vermögens zu werden und
in voller Unabhängigkeit den Rest seines langen
Lebens zuzubringen. Dieses grauenhafte Ver¬
hältniß hatte man freilich auf den ersten Blick
nicht geahnt; denn sie lebten zusammen wie zwei
gute alte Leutchen und nannten sich nur Vater
und Mutter. Insbesondere war die Margreth
in allem Einzelnen auch gegen ihn die gute und
verschwenderische Frau, die sie sonst war, und sie
hätte vielleicht ohne den vierzigjährigen Lebens¬
genossen und sein spaßhaftes Umhertreiben nicht

wenn er eine Privatliebhaberei befriedigen wollte.
Sie erholte ſich indeſſen wieder und hatte nach
einiger Zeit ihren eigenen Schatz wieder vervoll¬
ſtaͤndigt und mit den Jahren verdoppelt; aber
ihr einziger Gedanke war ſeit jenem Tage der
Theilung, mit der Zeit wieder in den Beſitz des
Entriſſenen zu gelangen, und das war nur moͤg¬
lich durch den Tod ihres Mannes. Daher ging
ihr jedesmal ein Stich durch das Herz, wenn
er ein Goldſtuͤck umwechſelte, und ſie harrte un¬
verwandt auf ſeinen Tod. Er hingegen wartete
eben ſo ſehnlich auf den ihrigen, um Herr und
Meiſter des ganzen Vermoͤgens zu werden und
in voller Unabhaͤngigkeit den Reſt ſeines langen
Lebens zuzubringen. Dieſes grauenhafte Ver¬
haͤltniß hatte man freilich auf den erſten Blick
nicht geahnt; denn ſie lebten zuſammen wie zwei
gute alte Leutchen und nannten ſich nur Vater
und Mutter. Insbeſondere war die Margreth
in allem Einzelnen auch gegen ihn die gute und
verſchwenderiſche Frau, die ſie ſonſt war, und ſie
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[207/0221] wenn er eine Privatliebhaberei befriedigen wollte. Sie erholte ſich indeſſen wieder und hatte nach einiger Zeit ihren eigenen Schatz wieder vervoll¬ ſtaͤndigt und mit den Jahren verdoppelt; aber ihr einziger Gedanke war ſeit jenem Tage der Theilung, mit der Zeit wieder in den Beſitz des Entriſſenen zu gelangen, und das war nur moͤg¬ lich durch den Tod ihres Mannes. Daher ging ihr jedesmal ein Stich durch das Herz, wenn er ein Goldſtuͤck umwechſelte, und ſie harrte un¬ verwandt auf ſeinen Tod. Er hingegen wartete eben ſo ſehnlich auf den ihrigen, um Herr und Meiſter des ganzen Vermoͤgens zu werden und in voller Unabhaͤngigkeit den Reſt ſeines langen Lebens zuzubringen. Dieſes grauenhafte Ver¬ haͤltniß hatte man freilich auf den erſten Blick nicht geahnt; denn ſie lebten zuſammen wie zwei gute alte Leutchen und nannten ſich nur Vater und Mutter. Insbeſondere war die Margreth in allem Einzelnen auch gegen ihn die gute und verſchwenderiſche Frau, die ſie ſonſt war, und ſie haͤtte vielleicht ohne den vierzigjaͤhrigen Lebens¬ genoſſen und ſein ſpaßhaftes Umhertreiben nicht

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/221>, abgerufen am 25.11.2024.