wird, von selbst die Kraft, auch seine Feinde zu lieben; denn für die Mühe, welche uns jene Ueber¬ windung kostet, fordern wir einen Lohn und dieser liegt zunächst und am natürlichsten in dem Wohlwollen, welches wir dem Feinde schenken, da er uns einmal nicht gleichgültig bleiben kann. Wohlwollen und Liebe können nicht gehegt wer¬ den, ohne den Träger selbst zu veredeln, und sie thun dieses am glänzendsten, wenn sie dem gel¬ ten, was man einen Feind oder Widersacher nennt. Diese eigenthümlichste Hauptlehre des Christenthums fand eine große Empfänglichkeit in mir vor, da ich, leicht verletzt und aufgebracht, immer ebenso schnell bereit war, zu vergessen und zu vergeben, und es hat mich später, als mein Sinn sich der Offenbarungslehre zu verschließen anfing, lebhaft beschäftigt, zu ermitteln, inwiefern jenes Gesetz nur der Ausdruck eines schon in der Menschheit vorhandenen und erkannten Bedürf¬ nisses sei; denn ich sah, daß es nur von einem bestimmten Theile der Menschen rein und uneigen¬ nützig befolgt wurde, von denjenigen nämlich, welche ihre natürlichen Gemüthsanlagen dazu
wird, von ſelbſt die Kraft, auch ſeine Feinde zu lieben; denn fuͤr die Muͤhe, welche uns jene Ueber¬ windung koſtet, fordern wir einen Lohn und dieſer liegt zunaͤchſt und am natuͤrlichſten in dem Wohlwollen, welches wir dem Feinde ſchenken, da er uns einmal nicht gleichguͤltig bleiben kann. Wohlwollen und Liebe koͤnnen nicht gehegt wer¬ den, ohne den Traͤger ſelbſt zu veredeln, und ſie thun dieſes am glaͤnzendſten, wenn ſie dem gel¬ ten, was man einen Feind oder Widerſacher nennt. Dieſe eigenthuͤmlichſte Hauptlehre des Chriſtenthums fand eine große Empfaͤnglichkeit in mir vor, da ich, leicht verletzt und aufgebracht, immer ebenſo ſchnell bereit war, zu vergeſſen und zu vergeben, und es hat mich ſpaͤter, als mein Sinn ſich der Offenbarungslehre zu verſchließen anfing, lebhaft beſchaͤftigt, zu ermitteln, inwiefern jenes Geſetz nur der Ausdruck eines ſchon in der Menſchheit vorhandenen und erkannten Beduͤrf¬ niſſes ſei; denn ich ſah, daß es nur von einem beſtimmten Theile der Menſchen rein und uneigen¬ nuͤtzig befolgt wurde, von denjenigen naͤmlich, welche ihre natuͤrlichen Gemuͤthsanlagen dazu
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wird, von ſelbſt die Kraft, auch ſeine Feinde zu
lieben; denn fuͤr die Muͤhe, welche uns jene Ueber¬
windung koſtet, fordern wir einen Lohn und
dieſer liegt zunaͤchſt und am natuͤrlichſten in dem
Wohlwollen, welches wir dem Feinde ſchenken,
da er uns einmal nicht gleichguͤltig bleiben kann.
Wohlwollen und Liebe koͤnnen nicht gehegt wer¬
den, ohne den Traͤger ſelbſt zu veredeln, und ſie
thun dieſes am glaͤnzendſten, wenn ſie dem gel¬
ten, was man einen Feind oder Widerſacher
nennt. Dieſe eigenthuͤmlichſte Hauptlehre des
Chriſtenthums fand eine große Empfaͤnglichkeit in
mir vor, da ich, leicht verletzt und aufgebracht,
immer ebenſo ſchnell bereit war, zu vergeſſen und
zu vergeben, und es hat mich ſpaͤter, als mein
Sinn ſich der Offenbarungslehre zu verſchließen
anfing, lebhaft beſchaͤftigt, zu ermitteln, inwiefern
jenes Geſetz nur der Ausdruck eines ſchon in der
Menſchheit vorhandenen und erkannten Beduͤrf¬
niſſes ſei; denn ich ſah, daß es nur von einem
beſtimmten Theile der Menſchen rein und uneigen¬
nuͤtzig befolgt wurde, von denjenigen naͤmlich,
welche ihre natuͤrlichen Gemuͤthsanlagen dazu
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/155>, abgerufen am 22.11.2024.
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