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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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in unsrer Stube standen und mit der Mutter
plauderten. Unser eigenes Höfchen enthält zwi¬
schen hohen Mauern ein ganz kleines Stückchen
Rasen mit zwei Vogelbeerbäumchen; ein nimmer¬
müdes Brünnchen ergießt sich mit ewigem Ge¬
plätscher in ein ganz grün gewordenes Sand¬
steinbecken und der ganze Winkel ist kühl und
fast schauerlich, ausgenommen im Sommer, wo
die Sonne gegen Abend einige Stunden lang
darin ruht. Alsdann schimmert das verborgene
Grün durch den dunkeln Hausgang so kokett auf
die Gasse, wenn die Hausthür aufgeht, daß den
Vorübergehenden immer eine Sehnsucht nach dem
Freien befällt. Im Herbste werden diese Sonnen¬
blicke immer kürzer und milder, und wenn dann
die Blätter an den zwei Bäumchen gelb und
die Beeren brennend roth werden, die alten
Mauern so wehmüthig vergoldet sind und das
Wässerchen einigen Silberglanz dazu gibt, so hat
dieser kleine abgeschiedene Raum einen so wunder¬
bar melancholischen Reiz, daß ich später noch oft
aus der schönsten offenen Landschaft nach Hause
gelaufen bin, wenn ich wußte, daß die Sonne

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in unſrer Stube ſtanden und mit der Mutter
plauderten. Unſer eigenes Hoͤfchen enthaͤlt zwi¬
ſchen hohen Mauern ein ganz kleines Stuͤckchen
Raſen mit zwei Vogelbeerbaͤumchen; ein nimmer¬
muͤdes Bruͤnnchen ergießt ſich mit ewigem Ge¬
plaͤtſcher in ein ganz gruͤn gewordenes Sand¬
ſteinbecken und der ganze Winkel iſt kuͤhl und
faſt ſchauerlich, ausgenommen im Sommer, wo
die Sonne gegen Abend einige Stunden lang
darin ruht. Alsdann ſchimmert das verborgene
Gruͤn durch den dunkeln Hausgang ſo kokett auf
die Gaſſe, wenn die Hausthuͤr aufgeht, daß den
Voruͤbergehenden immer eine Sehnſucht nach dem
Freien befaͤllt. Im Herbſte werden dieſe Sonnen¬
blicke immer kuͤrzer und milder, und wenn dann
die Blaͤtter an den zwei Baͤumchen gelb und
die Beeren brennend roth werden, die alten
Mauern ſo wehmuͤthig vergoldet ſind und das
Waͤſſerchen einigen Silberglanz dazu gibt, ſo hat
dieſer kleine abgeſchiedene Raum einen ſo wunder¬
bar melancholiſchen Reiz, daß ich ſpaͤter noch oft
aus der ſchoͤnſten offenen Landſchaft nach Hauſe
gelaufen bin, wenn ich wußte, daß die Sonne

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[129/0143] in unſrer Stube ſtanden und mit der Mutter plauderten. Unſer eigenes Hoͤfchen enthaͤlt zwi¬ ſchen hohen Mauern ein ganz kleines Stuͤckchen Raſen mit zwei Vogelbeerbaͤumchen; ein nimmer¬ muͤdes Bruͤnnchen ergießt ſich mit ewigem Ge¬ plaͤtſcher in ein ganz gruͤn gewordenes Sand¬ ſteinbecken und der ganze Winkel iſt kuͤhl und faſt ſchauerlich, ausgenommen im Sommer, wo die Sonne gegen Abend einige Stunden lang darin ruht. Alsdann ſchimmert das verborgene Gruͤn durch den dunkeln Hausgang ſo kokett auf die Gaſſe, wenn die Hausthuͤr aufgeht, daß den Voruͤbergehenden immer eine Sehnſucht nach dem Freien befaͤllt. Im Herbſte werden dieſe Sonnen¬ blicke immer kuͤrzer und milder, und wenn dann die Blaͤtter an den zwei Baͤumchen gelb und die Beeren brennend roth werden, die alten Mauern ſo wehmuͤthig vergoldet ſind und das Waͤſſerchen einigen Silberglanz dazu gibt, ſo hat dieſer kleine abgeſchiedene Raum einen ſo wunder¬ bar melancholiſchen Reiz, daß ich ſpaͤter noch oft aus der ſchoͤnſten offenen Landſchaft nach Hauſe gelaufen bin, wenn ich wußte, daß die Sonne l. 9

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/143>, abgerufen am 24.11.2024.