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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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habe, mir dasselbe auszumalen und das nie Er¬
lebte zu vergegenwärtigen.

So aber muß ich mich darauf beschränken, je
mehr ich zum Manne werde und meinem Schick¬
sale entgegenschreite, mich zusammen zu fassen
und in der Tiefe meiner Seele still zu bedenken:
Wie würde Er nun an deiner Stelle handeln
oder was würde Er von deinem Thun urthei¬
len, wenn er lebte. Er ist vor der Mittagshöhe
seines Lebens zurückgetreten in das unerforschliche
All und hat die überkommene goldene Lebens¬
schnur, deren Anfang Niemand kennt, in meinen
schwachen Händen zurück gelassen und es bleibt
mir nur übrig, sie mit Ehren an die dunkle Zu¬
kunft zu knüpfen oder vielleicht für immer zu
zerreißen, wenn auch ich sterben werde. -- Nach
vielen Jahren hat meine Mutter, nach langen
Zwischenräumen, wiederholt geträumt, der Vater
sei plötzlich von einer langen Reise aus weiter
Ferne, Glück und Freude bringend, zurückgekehrt,
und sie erzählte es jedesmal am Morgen, um
darauf in tiefes Nachdenken und in Erinnerungen
zu versinken, während ich, von einem heiligen

habe, mir daſſelbe auszumalen und das nie Er¬
lebte zu vergegenwaͤrtigen.

So aber muß ich mich darauf beſchraͤnken, je
mehr ich zum Manne werde und meinem Schick¬
ſale entgegenſchreite, mich zuſammen zu faſſen
und in der Tiefe meiner Seele ſtill zu bedenken:
Wie wuͤrde Er nun an deiner Stelle handeln
oder was wuͤrde Er von deinem Thun urthei¬
len, wenn er lebte. Er iſt vor der Mittagshoͤhe
ſeines Lebens zuruͤckgetreten in das unerforſchliche
All und hat die uͤberkommene goldene Lebens¬
ſchnur, deren Anfang Niemand kennt, in meinen
ſchwachen Haͤnden zuruͤck gelaſſen und es bleibt
mir nur uͤbrig, ſie mit Ehren an die dunkle Zu¬
kunft zu knuͤpfen oder vielleicht fuͤr immer zu
zerreißen, wenn auch ich ſterben werde. — Nach
vielen Jahren hat meine Mutter, nach langen
Zwiſchenraͤumen, wiederholt getraͤumt, der Vater
ſei ploͤtzlich von einer langen Reiſe aus weiter
Ferne, Gluͤck und Freude bringend, zuruͤckgekehrt,
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[123/0137] habe, mir daſſelbe auszumalen und das nie Er¬ lebte zu vergegenwaͤrtigen. So aber muß ich mich darauf beſchraͤnken, je mehr ich zum Manne werde und meinem Schick¬ ſale entgegenſchreite, mich zuſammen zu faſſen und in der Tiefe meiner Seele ſtill zu bedenken: Wie wuͤrde Er nun an deiner Stelle handeln oder was wuͤrde Er von deinem Thun urthei¬ len, wenn er lebte. Er iſt vor der Mittagshoͤhe ſeines Lebens zuruͤckgetreten in das unerforſchliche All und hat die uͤberkommene goldene Lebens¬ ſchnur, deren Anfang Niemand kennt, in meinen ſchwachen Haͤnden zuruͤck gelaſſen und es bleibt mir nur uͤbrig, ſie mit Ehren an die dunkle Zu¬ kunft zu knuͤpfen oder vielleicht fuͤr immer zu zerreißen, wenn auch ich ſterben werde. — Nach vielen Jahren hat meine Mutter, nach langen Zwiſchenraͤumen, wiederholt getraͤumt, der Vater ſei ploͤtzlich von einer langen Reiſe aus weiter Ferne, Gluͤck und Freude bringend, zuruͤckgekehrt, und ſie erzaͤhlte es jedesmal am Morgen, um darauf in tiefes Nachdenken und in Erinnerungen zu verſinken, waͤhrend ich, von einem heiligen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/137>, abgerufen am 22.11.2024.