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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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grünen Farbe und mit heiterem Metallglanze
für mich ein und dasselbe geworden. Aus seiner
letzten Zeit aber habe ich nur noch einen verwor¬
renen Eindruck behalten und besonders seine Ge¬
sichtszüge sind mir nicht mehr erinnerlich.

Wenn ich bedenke, wie heiß treue Eltern auch
an ihren ungerathensten Kindern hangen und die¬
selben nie aus ihrem Herzen verbannen können,
so finde ich es höchst unnatürlich, wenn soge¬
nannte brave Leute ihre Erzeuger verlassen und
Preis geben, weil dieselben schlecht sind und in
der Schande leben, und ich preise die Liebe eines
Kindes, welches einen zerlumpten und verachteten
Vater nicht verläßt und verläugnet, und begreife
das unendliche, aber erhabene Weh einer Tochter,
welche ihrer verbrecherischen Mutter noch auf dem
Schaffotte beisteht. Ich weiß daher nicht, ob es
aristokratisch genannt werden kann, wenn ich mich
doppelt glücklich fühle, von ehrenvollen und geach¬
teten Eltern abzustammen, und wenn ich vor
Freude erröthete, als ich, herangewachsen, zum
ersten Male meine bürgerlichen Rechte ausübte in

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gruͤnen Farbe und mit heiterem Metallglanze
fuͤr mich ein und daſſelbe geworden. Aus ſeiner
letzten Zeit aber habe ich nur noch einen verwor¬
renen Eindruck behalten und beſonders ſeine Ge¬
ſichtszuͤge ſind mir nicht mehr erinnerlich.

Wenn ich bedenke, wie heiß treue Eltern auch
an ihren ungerathenſten Kindern hangen und die¬
ſelben nie aus ihrem Herzen verbannen koͤnnen,
ſo finde ich es hoͤchſt unnatuͤrlich, wenn ſoge¬
nannte brave Leute ihre Erzeuger verlaſſen und
Preis geben, weil dieſelben ſchlecht ſind und in
der Schande leben, und ich preiſe die Liebe eines
Kindes, welches einen zerlumpten und verachteten
Vater nicht verlaͤßt und verlaͤugnet, und begreife
das unendliche, aber erhabene Weh einer Tochter,
welche ihrer verbrecheriſchen Mutter noch auf dem
Schaffotte beiſteht. Ich weiß daher nicht, ob es
ariſtokratiſch genannt werden kann, wenn ich mich
doppelt gluͤcklich fuͤhle, von ehrenvollen und geach¬
teten Eltern abzuſtammen, und wenn ich vor
Freude erroͤthete, als ich, herangewachſen, zum
erſten Male meine buͤrgerlichen Rechte ausuͤbte in

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[121/0135] gruͤnen Farbe und mit heiterem Metallglanze fuͤr mich ein und daſſelbe geworden. Aus ſeiner letzten Zeit aber habe ich nur noch einen verwor¬ renen Eindruck behalten und beſonders ſeine Ge¬ ſichtszuͤge ſind mir nicht mehr erinnerlich. Wenn ich bedenke, wie heiß treue Eltern auch an ihren ungerathenſten Kindern hangen und die¬ ſelben nie aus ihrem Herzen verbannen koͤnnen, ſo finde ich es hoͤchſt unnatuͤrlich, wenn ſoge¬ nannte brave Leute ihre Erzeuger verlaſſen und Preis geben, weil dieſelben ſchlecht ſind und in der Schande leben, und ich preiſe die Liebe eines Kindes, welches einen zerlumpten und verachteten Vater nicht verlaͤßt und verlaͤugnet, und begreife das unendliche, aber erhabene Weh einer Tochter, welche ihrer verbrecheriſchen Mutter noch auf dem Schaffotte beiſteht. Ich weiß daher nicht, ob es ariſtokratiſch genannt werden kann, wenn ich mich doppelt gluͤcklich fuͤhle, von ehrenvollen und geach¬ teten Eltern abzuſtammen, und wenn ich vor Freude erroͤthete, als ich, herangewachſen, zum erſten Male meine buͤrgerlichen Rechte ausuͤbte in 8 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/135>, abgerufen am 25.11.2024.